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Chemie der Tränen

Chemie der Tränen

Titel: Chemie der Tränen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Carey
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herstellen.«
    »Schwäne brechen Knochen. Sie können töten, Mann.«
    »Was Sie sagen, Herr Brandling, mag stimmen, aber Schwäne können auch junge Damen lieben. Dieser Schwan jedoch tut nichts dergleichen. Er wird geschaffen, um ein Kind zu verzaubern, und er wird schön und freundlich sein. Niemand wird durch ihn verletzt werden. Nichts und niemand wird sterben. Selbst die Fische, die er frisst, werden von den Toten wiederauferstehen und weiterschwimmen.«
    »Ein Wunder«, sagte ich.
    »Meinen Sie das ironisch?«
    Nein, mir war nicht nach Ironie, ich war wütend. Doch dann, mitten in meinem Temperamentsausbruch, erhaschte ich einen Blick auf das sprichwörtlich halbvolle Glas. Sumper war so eingebildet wie grob, aber könnte seine Kreatur nicht vielleicht genau das tun, was ich von der Ente erwartet hatte? Könnte sie nicht gleichfalls magnetische Agitationen hervorrufen? Warum denn nicht?
    »Die Engländer meinen alles ironisch«, sagte Sumper, »doch wenn Sie ›Wunder‹ sagen, dann stimmt es, denn das ist es. Und so wie Sie ein Wunder zu Frau Becks Gasthof in Karlsruhe geführt hat, so brachte mich ein Wunder in die Bowling Green Lane nach London. Nein, setzen Sie sich wieder. Bitte, bleiben Sie. Sie sind aufgebracht. Sie fühlen sich machtlos, dabei sind Sie der Mäzen, und Sie ahnen nicht einmal, was Sie mit Ihrem Geld ermöglichen. Ihre Macht ist viel größer als Sie denken.
    Ich kannte auf Englisch nur sieben Worte, Henry: ›Ich bin ein sehr guter Schweizer Uhrmacher.‹ Diese Lüge hat mir nicht geholfen, und als ich schließlich zur Bowling Green Lane kam, besaß ich nur noch zwei Münzen. Kennen Sie den Namen Thigpen?«
    Mein Vater hatte eine Taschenuhr von Thigpen & Thwaite sein Eigen genannt.
    »Ein Thigpen ist jemand, der um Münzen bettelt. Ich war ein frierender, hungriger Thigpen, und ich blieb vor Thigpen & Co. nur stehen, weil mein Name auf dem Fenster stand, in Goldblatt, ganz wie bei einem Tabakwarenladen. Durch die Scheibe war ein Instrument zu sehen, wie es niemand in Furtwangen kennt. Ein Barometer, um genau zu sein.
    Hinter der Tür traf ich einen jungen Engländer mit Lederschürze an. Ich tischte ihm meine übliche Lüge auf und behauptete, ein Schweizer zu sein. Und was hat er getan? Fragen Sie mich, was er getan hat.«
    Das war nicht nötig.
    »Nun, Herr Brandling, er holte Herrn Thigpen, einen waschechten Schwarzwälder, und im selben Moment, in dem ich den Mund aufmachte, wusste er, dass ich ein nutzloser Kuckucksuhrmann war. Aber«, sagte Sumper und hielt mich an der Hand fest, als ob ich ihm entfliehen wollte, »aber ich, Herr Brandling, ich hatte mich so gefreut, die heimische Sprache zu hören, dass ich ihn bat, mich eine Woche ohne Lohn für ihn arbeiten zu lassen.«
    Thigpen konnte einen Schraubstock- und Drehbankmann in seiner Instrumentenfabrik gebrauchen.
    Und Sumper hatte gleich behauptet, ebendies zu sein.
    Bei Thigpen scheint es sich um einen gewitzten alten Knaben mit scharfen blauen Augen unter gewaltigen Brauen gehandelt zu haben, das graue Haar zurückgekämmt und von einem Band zusammengerafft.
    »Sie waren Schweizer?«, höhnte er. »Und jetzt sind Sie ein Schraubstock- und Drehbankmann?«
    Er verlangte, dass ihm der junge Mann die Hände zeigte. Sie waren bereits als zu groß fürs englische Uhrengewerbe befunden worden.
    »Sie mögen Ihre Hände?«, fragte Thigpen. »Und Sie glauben, Sie werden sie behalten?« Er machte Sumper Angst, natürlich, denn die einzigen Drehbänke, die er kannte, waren winzige Drehbänke für Uhrmacher.
    »Kommen Sie, Kuckuckskind«, sagte Thigpen, »folgen Sie mir.«
    Er ging voran, führte an Werkbänken vorbei, die dicht besetzt mit Uhrmachern waren, versunken in ihren Ritualen wie Seminaristen, dann zum Nebengebäude und weiter zu einer zweiten Fabrik, die ganz bis zur Northampton Road reichte. Hier ragte in einer langgezogenen, kalten Werkstatt mit einer Decke aus Glas ein ungeheures wissenschaftliches Instrument empor, groß wie ein gigantischer Abakus, wie der Motor einer Lokomotive und so erstaunlich wie ein Elefant aus Stahl und Messing. Sumper behauptete, diese merkwürdige Maschine hätte sein Leben von Grund auf geändert, obwohl er es sich zunächst nicht leisten konnte, sie sich näher anzusehen. Er war zu sehr damit beschäftigt, Schraubstock- und Drehbankmann zu sein.
    »Herr Brandling, Sie können sich nicht vorstellen, welcher Hass dort einem Fremden entgegenschlug.« Die englischen Drehbankmänner fuhren sich mit

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