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Chemie der Tränen

Chemie der Tränen

Titel: Chemie der Tränen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Carey
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verpflegt, und die englischen Pasteten stärkten seinen Optimismus, doch eines frühen Morgens begleiteten ihn zwei Soldaten zu einer verhängten Kutsche und fuhren mit ihm zu einem Kai irgendwo westlich der London Bridge. Dort wurde er auf einem deutschen Trawler in die Brig gesperrt, und erst da, als ihm im Augenblick seiner Verbannung der Foliant wieder ausgehändigt wurde, fand er sich damit ab, dass alles verloren war.

Catherine
    Am Morgen brachte ich alle unversehrten Notizhefte zum Lowndes Square zurück, und Crofty, der die Lieferung entgegennahm, schenkte mir sein nettestes Lächeln. »Danke«, sagte er. »Darf ich Sie zu einer Tasse Tee einladen?«
    Ich fand es so erleichternd, dass mir vergeben wurde.
    »Ja, bitte«, antwortete ich. Sicher würde er mir gestatten, das letzte Heft noch einen Tag lang zu behalten.
    Ich wartete, drehte mich auf meinem Drehstuhl und schaute aus dem Fenster auf die Bäume.
    »Keine Milch«, sagte er. »Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus.«
    »Perfekt«, erwiderte ich, während er eine recht hübsche (untypisch schlichte) Tasse samt Untertasse von Clarice Cliff auf dem Tisch vor mir abstellte. »Ich hatte schrecklich dünnen Tee zum Frühstück.«
    Warum sagte ich so etwas? Ich wollte ihm doch sicher nicht zu verstehen geben, dass ich letzte Nacht in einem Zimmer über einem Pub geschlafen hatte, oder? Dann wollte ich es offenbar doch. Und dann hatte ich’s getan.
    »Um Himmels willen, warum das denn?«
    »Ich wollte die Notizhefte zu Ende lesen.«
    »Welcher Pub?« Sein Blick machte mich verlegen.
    »Rose and Crown.«
    »Dieser Young’s Laden? Der mit all den Sofas in der Bar? Gleich hier die Straße rauf?«
    Ich dachte, er kann nicht wissen, dass Matthew und ich dort zum ersten Mal miteinander geschlafen haben, aber Männer erzählen sich die verrücktesten Sachen, also wusste er es vielleicht doch. Ich versuchte, an meinem Tee zu nippen; der dreieckige Dekogriff war schön, aber schwer zu halten, wenn der Tee noch heiß war.
    »Ich habe versucht, die Notizhefte durchzulesen. Übrigens, das letzte steht noch aus.«
    Ich sah das Mitleid in seinen Augen und dachte, er wird mich das Heft behalten lassen.
    »Nun, meine Liebe, ich habe nicht vor, die Bücher unter Verschluss zu nehmen. Sie können sie also lesen, wann immer Ihnen danach ist, und das in weit angenehmerer Umgebung, als sie das Rose and Crown zu bieten vermag.«
    »Eigentlich«, sagte ich, »halte ich es für besser, wenn der Zugang zu den Büchern eingeschränkt bleibt.«
    »Was Sie nicht sagen.« Er lachte, ziemlich ungehalten, wie ich fand.
    »Ich habe jede Menge Make-up aufgetragen, Eric, aber ich glaube, man kann die Kratzer noch sehen, oder?« Ich sagte nicht, dass Amanda Snyde in meinem Haus gewesen war, auch wenn das stimmte.
    »Sie meinen, ich soll den Zugang beschränken, damit Ihre Assistentin die Bücher nicht lesen kann.«
    »Ich fürchte, sie könnten sie erneut ausrasten lassen.«
    Ich hatte ihn völlig falsch eingeschätzt. Ungläubig sah er mich an.
    »Meine Liebe, natürlich dürfen wir die Bücher nicht wegsperren. Das könnte ich niemandem gegenüber verantworten. Und Sie wissen, wie leid es Miss Snyde tut. Anscheinend gab es in der Drogerie Boots ein Versehen. Sie trägt nicht die geringste Schuld. Jetzt hat sie ihre Pillen wieder, und es geht ihr gut. Außerdem ist ihr entsetzlich peinlich, was passiert ist.«
    Nimmt sie Pillen gegen ihre Begeisterung?, fragte ich mich.
    »Bitte, Eric, haben Sie diese Notizhefte gelesen?«
    Unter anderen Umständen hätte mir das lausbubenhafte Lächeln gefallen, jetzt machte es mir Angst.
    »Lesen Sie weiter. Es wird noch besser.« Mit diesen Worten entführte er all meine Notizhefte. Ich folgte ihm, wusste aber bereits, wohin er wollte. In Zukunft würde ich dieselbe Treppe hinaufgehen müssen und mich oben der Gnade der nüchternen, geheimniskrämerischen kleinen Annie Heller ausgeliefert sehen, die mich noch nie gemocht hatte und jetzt noch weniger mögen würde. Meinen privaten Zugang zu Henry Brandling hatte ich verloren. Von nun an würde ich ihn ausleihen und wieder zurückbringen müssen.
    Der Lapsang Souchong war immer noch zu heiß. Der feste Dreiecksgriff bot keinen Halt. Der Schatz drohte mir aus den Händen zu gleiten.

2
    Annie Heller war ein winziges, mies gelauntes Insekt von Person, nicht einmal ansatzweise Wissenschaftlerin, vielmehr eine Frau ohne jede technische Expertise, ohne rechtmäßige institutionelle Macht, doch war sie es, die

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