Chiara Fontana - Das Möbiusband (German Edition)
Ebenso ein LKW-Unfall. Das passiert Tag für Tag. Die Toten in Wien? Seite 3 am ersten Tag. Zwei deutsche Gangster und ein Hausmeister mit zwei Promille im Blut. Kurze, uninteressierte Berichte. Allgemeine Klage über die zunehmende Gewalt.
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Viel schneller als erwartet kehrte Elena in ihre Heimat zurück – in einer Urne. Chiara regte sich sehr auf, doch angeblich hatte Antonio seine Zustimmung zur Einäscherung erteilt. Er erinnerte sich nicht daran, doch hatte das in jenen Tagen, in denen er sich sehr gehen ließ, wenig zu besagen. Während der Beisetzung Elenas in einer Nische der alten Parello-Grabstätte, fühlte sie sich so schwermütig und unruhig wie nie zuvor im Leben. Dann traf ein Sonnenstrahl durch das Gitter auf das Metall der Urne und von dort reflektiert auf Chiaras Augen. In dem Moment wurden ihr zwei Dinge bewusst: Die rasche Verbrennung ihrer Freundin hatte einen weiteren Beweis zerstört – und sie konnte keinesfalls sicher sein, dass es sich tatsächlich um Elenas Asche handelte.
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Eine Überraschung erlebte sie in der Biblioteca. Dottore Montinelli ließ sie zu sich rufen. Sie hatte sich längst eine Ausrede zurechtgelegt, die ihre mehrtägige Abwesenheit erklären würde, sie sehnte sich beinahe danach, ihre Erklärung endlich anzubringen, doch danach erkundigte er sich nicht. Er bat sie, sich zu setzen, betrachtete sie eine Weile durch seine dicken Brillengläser und seufzte.
„Ich weiß wirklich nicht, wie ich auf die Idee komme, dass ausgerechnet Sie mir helfen können, Dottoressa.“
Das klang nicht allzu charmant.
„Worum geht es, Dottore?“ fragte sie betont höflich.
„Ich habe vor etwa zwei Wochen von einem jungen Mann, dessen Gesicht mir irgendwie bekannt vorkam – vielleicht ein Student – eine seltsame DVD erhalten. Der Abend war schon etwas fortgeschritten“ – es legte sich tatsächlich ein Schimmer von Röte auf Montinellis Wangen – „und ich hatte etwas Wein zum Essen getrunken. Auch der junge Mann schien mir ein wenig angeheitert. Jedenfalls kamen wir ins Gespräch und am nächsten Tag fand ich die DVD in meinem Jackett. Ich hatte völlig vergessen gehabt, dass er sie mir gegeben, fast aufgedrängt hatte. Tage später stieß ich wieder darauf und sah sie mir an. Es handelte sich um aberwitzige Aufnahmen von fliegenden Gegenständen. Auch von dem jungen Mann, der so tat, als würde er mit einem Apparat dieses absurde Verhalten bewirken.“
Er machte eine entschuldigende Geste.
„Ich wusste beim besten Willen nicht, warum er mir so etwas zeigen wollte. Ich fand es nicht besonders lustig, verstehen Sie? Eine eher abgeschmackte Vorstellung, die viele Magier weit besser inszenieren.“
Chiara betrachtete ihn erstaunt.
„Aber wieso bringen Sie mich damit in Zusammenhang, Dottore?“
Er wurde nun wirklich rot.
„Weil ich Sie gestern zufällig auf der Straße gesehen habe. In Begleitung eines jungen Herrn, der jenem jungen Mann erstaunlich ähnelte.“
„Wollen Sie damit andeuten“, fragte Chiara kühl, „dass ich mir mit Hilfe eines Komplizen einen, wie Sie sagen, abgeschmackten Scherz mit Ihnen erlaubt hätte?“
Montinelli wehrte heftig ab.
„Keineswegs, Dottoressa. Auf gar keinen Fall! Ich dachte nur, Sie könnten dem jungen Mann mein Erstaunen ...“
Worauf hatte er sich da nur eingelassen!
Chiara sagte gelangweilt: „Sie können mir Ihr Filmchen ja vorspielen, Dottore. Dann kann ich Ihnen sagen, ob es sich um denselben Mann handelt.“
„Das ist eben das Problem! Die DVD ist weg, verschwunden. Ich habe auch nicht darauf geachtet, aber als ich Sie, als ich Ihre Begegnung beobachtete ...“
Schlimmer konnte er es nicht mehr machen. Er empfand ganz deutlich, sie müsse jetzt denken, dass er ihr nachstellte – und damit hatte sie womöglich Recht, auch wenn es ihm selbst bis jetzt noch nicht bewusst geworden war. Sie erhob sich.
„Wenn es nur das war, Dottore ... Entschuldigen Sie mich bitte.“
Er sprang auf und verbeugte sich wortlos, sie drehte sich um und verließ sein Büro, ohne die Türe zu schließen. Montinellis Sekretärin machte sich gar nicht die Mühe, ihre Schadenfreude zu verbergen.
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Chiara erkundigte sich auch bei Signora Dragani nach dem Mann im hellen Mantel. Die Signora sah sie verwundert an und sagte: „Es tut mir Leid, liebes Kind. Ich habe keinen gesehen. Jedenfalls keinen, an den ich mich erinnern könnte. Und wenn nicht einmal ich mich an einen Mann erinnern kann ... Also seien Sie nicht traurig,
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