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Chiara Fontana - Das Möbiusband (German Edition)

Chiara Fontana - Das Möbiusband (German Edition)

Titel: Chiara Fontana - Das Möbiusband (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Bergmann
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die Einbrecherin akzeptiert zu haben, ihr vielleicht sogar Sympathie entgegenzubringen. Räume können so sein. Und sie wollte allein sein. Sie schaltete das Licht aus, öffnete den Vorhang, warf sich auf das Bett und wartete. Sie wusste nicht genau worauf, doch sie wartete. Der Mondschein warf sein eigenes Licht und seine eigenen Schatten, ähnlich, aber nicht zu verwechseln mit denen der Sonne. Mond und Sonne. Sonne und Mond. Sie beobachtete, wie er sich langsam voran schob. Wie in einem Eck das Spinnennetz eines Weberknechts mondhellgrau erglühte und der Weberknecht sich unvermittelt umdrehte. Wie die Strukturen des Holzes sich veränderten, die Schatten darin sanfter und wieder schärfer wurden. Der Klang einer fernen Kirchenglocke vermischte sich mit diesem fahlen Schimmer. Bei jedem Glockenton schien er zu erschauern wie eine glatte Wasserfläche unter einem unsichtbaren Flügelschlag. Sie wartete.
    Plötzlich flackerte das Licht des Mondes. Etwas öffnete sich mitten im Raum. Mühsam. Wie eine Zwiebel, die ihre Schalen aus eigenem Willen Schicht für Schicht abwirft. Chiara war nicht überrascht. Sie sah das Gesicht eines sterbenden Mannes, der seinen Kopf mit letzter Kraft aufrecht hielt und ständig einige Worte – Namen? – wiederholte, die sie nicht verstand. Rechts und links von ihm saßen gesichtslose Gestalten, grau, starr wie aus Stein. Dann verschwanden sie. Das Gesicht des Sterbenden neigte sich weiter nach vorne. Seine Lippen zuckten.
    Der Feuerball füllte explosionsartig das Zimmer und leckte am Fußende ihres Bettes. Das Gesicht des Sterbenden verlor sich im Zentrum der Glut. Im letzten Aufbäumen schrie er seine Botschaft noch einmal heraus und diesmal verstand sie.
    „Ich bin Fred Miller. Lynx hat mich verraten.“
    Schlagartig verschwand er und sie lief neben einem Mann auf einem seltsam in sich verschlungenen Band. Sie liefen immer in eine Richtung, manchmal aufrecht, manchmal zur Seite geneigt, manchmal mit dem Kopf nach unten. Das machte nichts, denn das Band selbst bildete stets das Zentrum der Gravitation. Der Mann kam ihr entfernt bekannt vor, doch er änderte ständig seine Züge. So sehr sie sich bemühte, sie sah ihn nie scharf. Zwischen ihr und ihm befand sich eine Barriere wie aus eingetrübtem Glas. Doch was sie dahinter ausmachte, ließ sie erschrecken. An einem bestimmten Punkt der endlosen Schleife hatte sein Antlitz alles Menschliche verloren. Sein Profil war dann das einer schönen Raubkatze mit spitzen Ohren und spitzen Reißzähnen. „Lynx!“, hallte es in ihren Ohren. Es hallte ein vielstimmiger Chor, in den die Stimme des sterbenden Mannes sich einfügte und die anderen verstärkte. Der Läufer hinterließ eine blutige Spur auf dem Band. Ein Möbius-Band. Eine zweidimensionale endliche Struktur im Raum mit nur einer Fläche und einer Kante. Es war nicht das Blut des Läufers, es war das Blut von Lynx‘ Opfern. Das Band wurde zu einem Bach aus Blut, in dem sie liefen. Eine endlose Schleife aus rot schäumendem Blut.

70___
    Chiara öffnete die Augen, zog die Füße unter der Decke hervor und betrachtete sie. Kein Blut, natürlich nicht. Der A-Grav lag neben ihr und flimmerte in feiner weiß-blauer Körnung. Sie zog sich aus und stellte sich unter die Dusche. Sie mischte das Wasser heiß bis an die Grenze der Erträglichkeit.
    Sie zweifelte nicht mehr an den Zusammenhängen zwischen dem Auftauchen des A-Gravs, Antonios Veränderung und ihren seltsamen Wachträumen. So unterschiedlich sie sein mochten, hatten sie doch allesamt den Charakter verschlüsselter Botschaften. Die nackte Kaiserin und die Fliege. Sieht nicht ein jeder irgendwann, was irgendwer einmal gesehen hat . Der Untergang von Atlantis. Eine Vision oder doch nur ein schräger Traum? Das Bild des riesigen Bergmassivs, das aus großer Höhe auf das rettungslos verlorene Toranal herabstürzte. War der A-Grav imstande, ganze Gebirge vom Erdmantel abzulösen und mit ihnen zu jonglieren wie mit Bällen, Kästen und Baggern? Dieses elegante, rätselhafte Ding, das selbst so handlich und leicht war? Und nun der sterbende Mann, seine Anklage und der Blutbach in Form eines Möbiusbands. Falls es sich wirklich um Botschaften handelte, waren sie nicht leicht zu verstehen. Botschaften aus ferner, nicht so ferner und jüngster Vergangenheit – denn sie wusste, dass der Tod von Fred Miller nicht lange zurück lag. Aber woher wusste sie es? Hatte auch das mit dem A-Grav zu tun? Dann war da noch die Erfahrung im

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