Chiara Fontana - Das Möbiusband (German Edition)
gesottene Verbrecher. Sie haben auf Anfrage der Österreicher einige Beteiligte einvernommen, aber die schweigen sich aus. Viel vorwerfen können sie ihnen nicht. Ich bin ziemlich sicher, dass Iwas dahinter steckt. Er ist gefährlicher und schneller als ich dachte.“
„Dann“, fuhr Vanetti unbeirrt fort, „haben wir einen Bagger und eine Bundesstraße zerstört. Du hast einen neuen Mercedes gestohlen und meinen 164 in Brand gesteckt und in eine fremde Kiesgrube geworfen. Schließlich sind wir in ein Haus eingebrochen und begehen hier fortgesetzten Diebstahl und was weiß ich alles noch. Von den unzähligen Verwaltungsübertretungen will ich nicht reden.“
„Na ja“, gab Donahue in gebrochenem Deutsch zu, „da ist schon etwas dran. Aber sag‘ ganz im Ernst, Ernst: Hättest du dich lieber umbringen lassen?“
Seine drollige Aussprache machte das harmlose Wortspiel witzig. Elena begann zu kichern, verschluckte sich und erstickte beinahe.
„Jetzt hättest du mich fast auch noch auf dem Gewissen gehabt, du Massenmörder!“ keuchte sie in Richtung Vanetti. „Bekommst du nie genug?“
Und damit war das Thema irgendwie erledigt. Zur Beruhigung ihres schlechten Gewissens fanden sich Chiara und Vanetti Seite an Seite in der Küche, um wenigstens den Abwasch zu erledigen. Die Hausherren sollten wissen, dass ihre Einbrecher ordentliche Menschen waren. Chiara erzählte ihm, dass der A-Grav den Bart des Schlüssels behalten hatte.
„Der Schlüssel als Voraussetzung zur teuflischen Kraft hat wohl den Sinn gehabt, die Macht über das Gerät zu teilen“, vermutete Vanetti. „Eine Art Vier-Augen-Prinzip, ein Kontrollmechanismus. Nicht sehr wirksam allerdings. Schon Emilio besaß ja A-Grav und Schlüssel.“
„Trotzdem stellt sich die Frage, warum er das System gerade jetzt ändert“, warf Chiara ein.
„Du meinst, er ändert es selbst?“
„Ich war es jedenfalls nicht.“
Und der Mann mit dem Spazierstock hatte wohl keine Gelegenheit dazu gehabt. Aber das behielt sie für sich.
„Vielleicht sieht er keinen Sinn mehr in der Trennung“, sinnierte der Italo-Wiener. „Vielleicht ...“ Er sah sie verblüfft an.
„Was?“ fragte Chiara leicht gereizt.
„Vielleicht hat er ein Ziel erreicht. Vielleicht bist du dieses Ziel.“
„So ein Blödsinn“, murmelte sie. Sie trockneten das gespülte Geschirr ab und ordneten es ein.
Unvermittelt richtete sie sich auf und sah Ernst düster an.
„Ich glaube, die Trennung war nur eine Finte. Er lässt ohnehin nur zu, was ihm passt.“
„Du meinst, es ..., er ist intelligent?“ fragte Vanetti halb erschreckt, halb elektrisiert.
„Warum nicht? Du hast selbst vermutet, dass er mich als Ziel erkannt hat. Ein simpler Toaster schafft das nicht.“
Sie blickten beide auf den A-Grav, den Chiara mittlerweile wie selbstverständlich ständig in ihrer Reichweite behielt. Er schimmerte in sanftem, harmlosem Sonnengelb. Wahrscheinlich verstand er mehr von der Psychologie der Farben als irgendwer sonst.
Bereits gestern hatte sich Mike vergewissert, dass kein Licht nach außen drang. Mit Vorhängen, Decken und Klebeband sorgte er für vollständige Verdunkelung. Die Gefahr misstrauischer Beobachter war zudem gering. Draußen lag eine Decke aus unberührtem Neuschnee, keine Spur führte zum Haus. Sie leisteten sich den Luxus von gedämpftem Licht und sahen sich Sitcoms und einen Spielfilm an. Elena pirschte sich Zentimeter um Zentimeter an Donahue heran und legte schließlich ihren Kopf – unter dem Vorwand einzuschlafen – auf seine Brust. Dabei blinzelte sie Chiara zu, die es vorzog, das zu übersehen und sich statt dessen Wein einschenkte. Der Amerikaner war unbestreitbar ein attraktiver Mann und Elenas Dankbarkeit verständlich und ... Trotzdem sollte sie das nicht tun. Chiara erwog sekundenlang, ob sie eifersüchtig war.
Vanetti trank stumm und reichlich, wie sie fand. Sie versuchte, sich in einen Menschen hinein zu versetzen, der ständig auf verschieden hohen Niveaus von Panik lebt. Dann dachte sie an Antonio, beobachtete, wie Elenas Hand in Mikes Hemd schlüpfte und Vanettis linkes Augenlid im Sekundentakt zuckte. Sie entschied, dass Brad Pitt erstaunlich langweilig war, wenn man ihn einmal nicht als Sexobjekt wahrnahm, stand auf, sagte: „Gute Nacht“ und ging in ihr Zimmer. In ihr Zimmer, sie schüttelte sich. So schnell ging das also.
69___
Sie schloss die Tür. Der Raum, vor Stunden noch abweisend und fremd, hatte sich tatsächlich verwandelt. Er schien
Weitere Kostenlose Bücher