Chiara Fontana - Das Möbiusband (German Edition)
bewusste Erinnerung blieb die Feier an seinem 15. Geburtstag. Er, Mutter und ihr Lover. Die beiden einzigen Menschen, die er damals kannte. Ein Jahr später – er kannte mittlerweile viele Leute – lauerte er dem ewig nach Fusel stinkenden Kerl in seiner Werkstatt auf, packte ihn von hinten um den Hals und trieb ihm mit instinktiver Zielsicherheit den Schrauber durchs Auge. Danach lief er nach Hause, um zu essen, ein wenig fernzusehen und zu schlafen. Am Abend feierte er mit Mom und einigen Bekannten völlig ungerührt seinen 16. Diese Gelassenheit war ihm ebenso geblieben wie die tödliche Zielsicherheit.
Ein Psychologe hätte geurteilt, dass Lynx‘ herausragende Fähigkeiten auf der kreativen Kombination überdurchschnittlicher, hellwacher Instinkte und einem ebenso glasklaren wie eiskalten analytischen Verstand beruhten. Und der vollkommenen Abwesenheit von Moral.
Und nun Italien. Seine Ziele in dieser ungewöhnlichen Affäre standen fest. Ein spektakuläres Attentat in Europa. Eines, das die Welt auf Jahre hinaus nachhaltig ändern würde. Und danach die nicht minder spektakuläre Waffe mit höchstem Gewinn in einem aberwitzigen Bieterverfahren an die Vereinigten Staaten gelangen lassen. Das war sein Masterplan, der ihn um vieles reicher machen würde.
Wobei dieser Reichtum ihm nichts bedeutete, abgesehen von der darin liegenden Bestätigung seines Erfolgs. Viele von Lynx‘ Opfern wären bass erstaunt gewesen, dass der Mann, der sie ohne die geringsten Anzeichen von Skrupeln quälte und mordete, große Teile seines Blutgelds anonym an Waisenhäuser, Alten- und Tierheime spendete. Dass dieses Monster ein Wohltäter in großem Stil war. Und dies nicht, um sich von seiner Schuld irgendwie frei zu kaufen, sondern allein aus dem Grund, weil es ihm gefiel. Und weil er eben immer tat, was ihm gefiel.
Die Eckpunkte seines Plans standen fest. Fixiert mit Mr. Saduri und mit dem Mann in Wyoming, der sich zehnmal wichtiger nahm als er war und für diese Selbsttäuschung viel Geld locker machte. Der davon überzeugt war, alle Fäden in der Hand zu halten, ohne zu ahnen, dass er selbst nur tat, was der Puppenspieler ihn tun hieß ... Der Rest würde sich aus der Situation ergeben, wie schon so oft. Flexibilität, Intuition – das ließ sich nicht planen. Nahe dran bleiben und der inneren Stimme vertrauen. Ein besseres Rezept gab es nicht.
Oszillierte da noch etwas Unbekanntes im Hintergrund? Eine Motivation, ein Ziel, ein fremder Einfluss? Manchmal, in letzter Zeit häufiger als sonst, stellte sich sein Nackenhaar auf und etwas Unbestimmtes, Ungreifbares, ließ einen kühlen Schauer von Eisnadeln über seinen Rücken tanzen. Er nahm das nicht auf die leichte Schulter, doch alle Analyse und Intuition führten zu keinem Ergebnis.
Lynx gönnte sich noch ein Glas Wein, ehe er sich wieder den Details zuwandte.
68___
„Cheers“, sagte Chiara.
Sie hatten bis in den späten Nachmittag hinein geschlafen. Es war allen klar, dass sie noch eine Nacht in dieser behaglich warmen Luxushöhle bleiben würden. Nun lümmelten sie auf den Ledersofas im Wohnzimmer herum, knabberten Nüsse, Kekse und Chips und verkosteten ordentliche Weine aus dem Keller des abwesenden Hausherrn. Zuvor hatten sie in einem riesigen Tiefkühlschrank dicke Scheiben von Hirschbraten in Rahmsauce, einen Serviettenknödel, verschiedene Eissorten, Himbeeren und Schwarzbeeren entdeckt und sich daraus ein Festmahl bereitet. Chiaras und Vanettis Bedenken hatte Donahue mit seinem Standardargument zerstreut.
„Es ist ein Notfall. Und es wird alles ersetzt.“
Elena hatte keine Bedenken.
„Meine Güte, ihr Babies“, stöhnte sie. „Wir sind hungrig und durstig und es hat mir selten so gut geschmeckt wie heute. Was wollt ihr noch?“
Vanetti knurrte vor sich hin. „Mike hat zwei Menschen erschossen, sagen wir in Nothilfe. Dann sind wir unter Zurücklassung von drei Toten und eines Terrorverdächtigen verschwunden, anstatt die Polizei zu verständigen. Wir haben einen Motorradfahrer von der Autobahn gecheckt und einen zweiten von der Bundesstraße vermutlich direkt ins Nirwana befördert.“
Er vermied es, Chiara dabei ins Gesicht zu sehen.
„Wenn du damit meinst, dass der auch auf die Liste gehört, hast du Recht“, sagte Mike leichthin. „Er war übrigens der Bruder des Typs auf der Autobahn. Daher wohl sein ungestümer Angriff. Wäre ihm ja beinahe gelungen. Die Gang ist den Deutschen übrigens gut bekannt. Kein gewöhnlicher Motorradclub, hart
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