Chiara Fontana - Das Möbiusband (German Edition)
stockdunklen Keller der Parellos, vollkommen verschieden von den anderen. Kein Menschenwerk mehr. Eine gänzlich andere Ebene, jenseits aller Erklärungsversuche, aber auch – wie ihr plötzlich bewusst wurde – jenseits alles Unerklärbaren. Die Urmelodie aus gewobenem Licht entzog sich allen Wertungen und Deutungen. Chiara fühlte instinktiv, dass sie sich auch dem A-Grav und dessen Geheimnissen entzog. Sie war absolut unabhängig und eigenständig. Dennoch musste sie sich irgendwie in das Muster fügen, dass noch unfertige und variable Ansätze zeigte wie ein eben erst begonnenes Puzzle. Ein Puzzle ohne Vorlage allerdings. Mit Steinchen, die nur nach und nach auftauchten. Doch ein Muster gab es, davon war sie überzeugt.
Als sie sich wieder ins Bett legte und einzuschlafen versuchte, hatte der Traum von vorhin nichts von seiner Grausamkeit und Deutlichkeit verloren. „Lynx!“
Fred Millers Anklage dröhnte noch lange in ihren Ohren.
71___
Am nächsten Morgen saßen sie früh am Tisch. Elena schien innerlich zu schnurren und Chiara zweifelte nicht an der Ursache dafür. Ihre Freundin hatte die Nacht mit dem Amerikaner verbracht und offenbar verfügte er auch über außergewöhnliche sexuelle Fähigkeiten. Sie selbst war düsterer Stimmung. Vanetti kämpfte mit dem Alkohol vom Vorabend, Donahue allerdings zeigte sich perfekt und elegant wie immer. Er trug noch immer den gleichen Anzug, aber ohne Zweifel hatte er im reich bestückten Haus ein passendes Hemd und wohl auch frische Wäsche vorgefunden. Es wurde ja alles ersetzt. Von wem wohl? Sie tranken Kaffee und Obstsaft, aßen Toasts, Brot, Marmelade, Wurst, Käse – die Besitzer des Hauses waren wirklich auf alle Eventualitäten gut vorbereitet, auch wenn sie dabei wohl nicht an diese Art von Besuchern gedacht haben mochten.
Sie hatten sich darauf geeinigt, nach Aviano zu fahren. Dort verfügte die US-Luftwaffe über einen Stützpunkt, sie würden, wenn alles glatt ging, nicht viel mehr als drei Stunden brauchen und dann ...
Jemand machte sich an der Haustüre zu schaffen. Sie hörten das Sperren des Schlüssels. Eine männliche Stimme und eine weibliche. Unaufgeregt, gelassen, aber schwer verständlich.
Ehe Chiara, Elena und Vanetti auch nur ihr Besteck oder ihr Brötchen niedergelegt hatten, stand Mike schon mit gezogener Waffe neben der Tür.
„Versteckt euch!“ zischte er fast unhörbar. „Leise!“
Vanetti ließ vor Schreck sein Messer fallen. Laut klirrend landete es auf dem Teller, kippte zur Seite und schlug auf dem Boden auf. Beim Versuch, das Messer zu fangen, wischte er den Teller und seine Schale vom Tisch, die mit Getöse in Dutzende Teile zersprangen. Verzweifelt hob er den Kopf und begegnete Elenas Blick, der ihn zunächst vernichtete und sich dann voll pathetischer Verzweiflung nach oben richtete an alle Heiligen aller Himmel. Womit hatten sie Vanetti nur verdient!
Die Stimmen verstummten. Für Sekunden erstickte die Stille jedes Geräusch. Donahue riss die Tür auf und bedrohte mit seiner Waffe ein älteres Paar, das noch in dicken Mänteln da stand, der Mann mit einem Hut auf dem Kopf, die Frau unter einer dicken Wollmütze, die aussah wie selbst gestrickt. Beide hatten Schals um den Hals gewickelt und rote Gesichter von der Kälte, die jetzt rasch erbleichten. Ihre Stiefel standen auf einem Abtropfgitter, sie trugen Hausschuhe an den Füßen.
„Wer sind Sie?“ fragte schließlich die Frau. Sie klang mehr zornig als ängstlich. „Das ist Privatbesitz. Sind Sie eingebrochen?“
„Sei ruhig, Martha“, sagte der Mann beschwichtigend. „Siehst du nicht, dass er eine Waffe hat?“
„Wer sind Sie ?“ fragte Donahue sehr kühl, ohne seine Pistole zu senken.
„Wir passen auf das Haus auf“, erwiderte der Mann mit einer gewissen Würde, „wenn Familie Klein nicht hier ist. Normalerweise kommen wir nur einmal in der Woche, aber heute wollte ich die Einfahrt räumen ...“
„Ziemliches Pech“, stellte der Amerikaner fest. „Denn ich kann Sie leider nicht gehen lassen.“
Nicht nur die Neuankömmlinge starrten ihn an.
„Was meint er?“ flüsterte Vanetti nervös.
„Man wird uns suchen“, sagte die Frau.
„Natürlich“, stimmte Donahue zu. „Aber nicht so schnell. Die Einfahrt ist lang. Da dauert die Arbeit einige Zeit. Kommen Sie.“
Er winkte das Paar an sich vorbei in die Küche. Der Mann mochte an die 70 sein, die Frau kaum jünger. Beiden stand nun die Angst ins Gesicht geschrieben. Mit großen Augen
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