Chiemsee-Cowboys - Oberbayern Krimi
ging das so. Hörst du mir überhaupt zu? Gut! Eines Morgens also, da hat mein Kumpel dem Hund einen Zwanzig-Euro-Schein in die Halsband-Tasche gegeben, weil er kein Kleingeld hatte. Der Hund rennt aus dem Haus und war … weg. Verschwunden. Mein Kumpel hat den Perser angerufen und gesagt: ›War mein Hund heute nicht da?‹ Und der Perser sagt: ›Nein, den hab ich heute noch nicht gesehen. Hoffentlich ist dem nichts passiert.‹ Was soll ich also sagen, Josef, nach drei oder vier Stunden, da taucht der Hund wieder bei meinem Kumpel zu Hause auf. Völlig fertig, aber mit einem versauten Grinsen um die Lefzen. Mein Kumpel sagt: ›Mensch, Harro, du blöde Töle, wo bist du denn gewesen?‹ Und der Hund sagt: ›Ich war im Hundepuff, Alter. War super. Die haben voll krass ondulierte Pudelweiber da.‹ Und mein Kumpel sagt: ›Das hast du doch noch nie gemacht.‹ Und der Hund sagt: ›Du hast mir ja auch noch nie so viel Geld mitgegeben.‹« Stille in der Küche. Dann wieder der Zeno: »Das war ein Witz, Josef. Ein Witz. Hier, probier mal das. Hackfleisch, frisch durchgedreht heute Nachmittag.«
In der Gaststube verzieht die Nellie müde das Gesicht, nimmt einen kleinen Schluck von ihrem Gin Tonic und sagt zum Stocker: »Ich hab ehrlich geglaubt, das läuft, das mit der Renate und mir. Was hab ich verkehrt gemacht? Warum will sie ausziehen? Was mach ich jetzt mit dem Urlaub? Ich hab das Hotel gebucht und bezahlt. Was mach ich mit meinem Leben? Warum geht die plötzlich weg, was hab ich verdammt noch mal falsch gemacht? Kannst du mir das sagen?«
»Nein, kann ich nicht«, sagt der Stocker und schaut in sein Bierglas. »Weißt du, ich kann dir keine Tipps und Ratschläge geben. Das Leben, das verstehst du nach hinten, aber leben musst du es nach vorne, das ist das ganze Problem. Ich selber, ich stell mir das Leben gerne wie einen Zug vor.«
»Einen Zug? Einen Eisenbahnzug?« Nellie grinst etwas gezwungen und fährt gedankenverloren mit dem Zeigefinger über einen nassen Ring am Tisch, den ihr Glas hinterlassen hat. »Ist das nicht ein bisschen profan?«
»Kann schon sein. Aber denk doch mal so: Du bist die Lokomotive. Du ziehst dich mit deinen ganzen Schwächen und Stärken durchs Leben. Durch dein ureigenes Leben. Keiner hilft dir dabei. Du musst dich da selber durchziehen und immer wieder aufs Neue entscheiden, in welche Richtung es gehen soll. Gut, du kommst an Weichen, die vielleicht nicht so gestellt sind, wie du dir das vorgestellt hast. Und die Richtung, deine Richtung, die stimmt auch nicht immer. Manches kannst du beeinflussen, aber das Meiste nicht. Das passiert einfach. Leben, das ist das, was mit dir passiert, während du mit was ganz anderem beschäftigt bist. So ist das nun einmal. An deiner Lokomotive, da hängen auch ein paar Waggons. Da ist alles drin, was für dich und dein Leben wichtig ist, oder war. Deine Erfahrungen, deine Glücksmomente und Enttäuschungen, deine Probleme, einfach alles ist da drin, und das schleppst du dein Leben lang hinter dir her, egal, wo du bist und was du machst. Und in diese Waggons, da steigen auf deinen vielen Stationen dann auch Personen ein, die dich ein Stück weit auf deinem Lebensweg begleiten. Sie steigen ein, weil du sie eingeladen hast, oder weil sie glauben, dass sie auch in diese Richtung wollen, oder weil sie aus einem anderen Lebenszug gestiegen oder gefallen sind und glauben, dass das jetzt die richtige Wahl ist. Manche bleiben länger bei dir, manche steigen schnell wieder aus. Manche willst du für den Rest deiner Reise gerne dabeihaben, aber die haben plötzlich ganz andere Pläne, oder sehen auf einem anderen Gleis einen Zug, in den müssen sie unbedingt rein. Wir sind alle irgendwie … Anschlussreisende oder so was, ich weiß auch nicht, wie ich das jetzt sagen soll. Auf jeden Fall, dein Zug, der fährt weiter, immer weiter. Und es steigen immer wieder Reisende ein und aus. Da kannst du selber nicht viel machen. So sehe ich das. Mein Zug, der hat auch nicht immer da gehalten, wo ich das wollte. Und so manch einer ist viel zu schnell wieder ausgestiegen, von dem ich gehofft habe, dass er bei mir bleibt bis zur Endstation.«
»Endstation? Das passt doch. Hoffentlich ist dein Zug jetzt im Bahnhof, Albin. Du bist schon in Ordnung, weißt du das?« Nellie fährt dem Stocker mit den Fingern durch die Haare und gibt ihm einen Kuss auf die Wange. »Du und der Bescheuerte da draußen, und der Josef, ihr seid meine Familie. Pass auf deine Passagiere auf,
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