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Chiffren im Schnee

Chiffren im Schnee

Titel: Chiffren im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Berlinger
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erklärt, dass er nicht mehr für andere Leute hinter der Theke stehen, sondern auf eine eigene Bar sparen wolle.
    Im Verlaufe des Vormittags gab es weitere schlechte Neuigkeiten, die nicht zurückgehalten werden durften, egal, wie missmutig Herr Bircher bereits in den Tag blickte. Die beiden Herren Helm und Schindler waren am gestrigen Abend nicht von einer Tour zurückgekehrt. Dass das bisher niemandem aufgefallen war, hatte natürlich ebenfalls mit dem Jahreswechsel zu tun. Herr Ganz sandte diplomatische Botschaften an die Concierges der anderen Hotels, um herauszufinden, ob die beiden Herren auf dem Heimweg von ihrer Tour vielleicht in einem der Häuser einen Zwischenhalt gemacht und dann irgendwie den Heimweg ins Splendid nicht mehr gefunden hatten. So etwas war schon vorgekommen, doch dieses Mal war das nicht der Fall. Niemand hatte die beiden Berggänger gesehen. Mit einem Seufzer griff Herr Ganz zum Telefon, um den Alarm auszulösen. Dann überbrachte er die schlechte Nachricht dem Patron.
    «Ich habe den Alpen-Club bereits verständigt», versuchte er den Direktor zu beruhigen, der die Neuigkeit vom Verschwinden zweier Gäste nicht gerade gut aufnahm. «Vielleicht hat die Tour einfach länger gedauert als geplant, und die Herren haben beschlossen, das neue Jahr in einer Alphütte zu begrüssen. Gegen Mittag werden wir hoffentlich mehr wissen.»
    Der Patron strich sich über sein karges, zerzaustes Haar. «Ihr Wort in Gottes Ohr, Herr Ganz.»
    Christian war nicht weiter überrascht, als am frühen Nachmittag Mister Derringer in der Kleinen Suite auftauchte. Er hatte sich schon gefragt, wann er den Reporter wieder würde zu sehen bekommen.
    Der Amerikaner konnte sich beim Anblick der Gouvernante, die mit Notizblock und Stift im Lesezimmer stand, ein Grinsen nicht verkneifen; als sie sich zurückziehen wollte, hielt er sie auf.
    «Nein, bleiben Sie noch einen Moment, Miss – ich brauche jemanden, der ortskundig ist. Seit ich hier bin, versuche ich, diese Berge auseinanderzuhalten und mir zu merken, wie sie alle heissen, aber es sind einfach zu viele. Können Sie mir den Erlengrat zeigen?»
    Etwas verwundert kam sie seiner Bitte nach und zeigte ihm im Westen über einer hohen, steilen Wand einen lang gezogenen Grat, der sich zwischen zwei Bergen erstreckte.
    «Aha. Nun, das sieht hübsch gefährlich aus», meinte Mister Derringer kopfschüttelnd. «Es schwirren Gerüchte durchs Hotel, dass die beiden Herren Alpinisten aus Österreich gestern dort eine Tour machen wollten. Sie sind nicht zurückgekehrt. Mitglieder des Alpen-Clubs haben sich auf die Suche gemacht und nun per Spiegel ins Tal signalisiert, dass dort oben eine Lawine abgegangen ist. Wahrscheinlich sind also die beiden Handlanger der Frau Kommerzialrat nun auch tot.»
    Sie machte ein leises Geräusch. «Die Route über den Erlengrat hat damals Josts Vater entdeckt», sagte sie tonlos. Für einen Moment blickten sie alle zu dem einsamen Grat.
    Mister Derringer räusperte sich. «Tja, ich bin zum Glück nicht abergläubisch veranlagt. Die Berge sind einfach ein gefährlicher Ort.»
    «Das sind sie wohl», stimmte ihm Christian zu. «Alles in Ordnung?», fragte er Anna leise.
    «Ich habe mich nur daran erinnert, wie Jost einmal von einer Tour dorthin mit seinem Vater erzählte. Er war sehr glücklich, dass er mitdurfte.» Sie wandte sich ab. «Wenn Sie mich entschuldigen wollen. Ich habe noch viel zu tun.»
    Als die Tür hinter ihr ins Schloss gefallen war, sagte Mister Derringer zu Christian: «Ich weiss, ihr Engländer habt es mit ‹passend› und ‹unpassend›. Aber seien Sie bloss kein Narr!»
    «Nehmen Sie doch bitte Platz, Mister Derringer.»
    Der Reporter hob die Hände und setzte sich ächzend in den Fauteuil. «Schon gut, schon gut. Matthew P. Derringer weiss, wann seine Meinung nicht erwünscht ist. Und ich bin ja auch wegen etwas ganz anderem hier.»
    «Lassen Sie mich raten – wegen Ihrer Story, die leider nie erscheinen wird?»
    «Eine tolle Story. Ich werde Ihnen dafür immer dankbar sein! Als gestern alle in der Waschküche ihre grossartigen Stillschweige-Abkommen trafen, hielt es niemand für nötig, mich zu konsultieren. Ich hatte den Eindruck, Sie wären der Einzige, dem das aufgefallen ist, und dass Sie mit Absicht nichts sagten. Also dachte ich, zum Teufel damit, ich lasse mir eine solche Story doch nicht durch die Finger gehen. Der Colonel aber kennt mich. Und so schickte Seine Exzellenz vergangene Nacht eine Depesche über

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