Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Chiffren im Schnee

Chiffren im Schnee

Titel: Chiffren im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Berlinger
Vom Netzwerk:
Wo ist Ihr Valet?»
    Christian versuchte, das schmale Gesicht in Einklang mit Ammanns Erzählungen zu bringen – es wollte ihm nicht recht gelingen. Sie sah aus, als hätte sie vor Kurzem geweint, auch das schien nicht zu passen. Aber dann dachte er an das kleine Blatt Papier, das Ammann ihm überlassen hatte. Er spürte ihren Blick, sie wusste, dass etwas nicht stimmte. Im Moment fiel ihm sogar das Sprechen schwer. Er versuchte, ruhig zu atmen.
    «Ammann ist im Dorf, um Besorgungen zu erledigen. Könnten Sie bitte nachsehen, ob er schon wieder zurück ist, und ihn zu mir schicken?»
    Anna sah, wie er seine Hände zu Fäusten ballte und wie er mit Bedacht atmete, um über den Schmerz Kontrolle zu erlangen. «Natürlich. Sollte er noch nicht zurück sein, werde ich Pagen nach ihm ausschicken.»
    «Entschuldigen Sie, dass ich Sie damit belästige, wo Sie doch anderes zu tun haben.» Er zeigte auf das Päckchen, das Papier hatte sich etwas gelöst, und eine rote Apfelbacke war zu sehen.
    Es war Anna nicht peinlich zu sagen, was sie vorgehabt hatte, trotzdem klang ihre Erklärung leicht unwillig. «Ich wollte hier nur die Vögel und Eichhörnchen füttern.»
    Falls er ihren Ton bemerkte, liess er es sich nicht anmerken. Er meinte leichthin: «Das Mindeste, was ich jetzt wohl tun kann, ist, dafür zu sorgen, dass die Tiere zu ihrem Futter kommen. Das heisst, wenn es Ihnen recht ist?»
    Die Frage überraschte Anna, sie nickte nur und machte sich auf den Weg zurück ins Splendid. Sie begann, das Tuscheln der Zimmermädchen zu verstehen. Und was genau fehlte ihm? Eine Rückenverletzung konnte viel bedeuten. Würde das je wieder besser?
    Sie blickte nach oben in die grauen Wolken, es begann wieder heftiger zu schneien; sie musste Jost schnell finden.
    Glücklicherweise war er schon zurück und hatte die Abwesenheit des Lieutenants bereits bemerkt. Anna traf ihn im Vestibül, wo er gerade dabei war, Herrn Ganz über den Verbleib des Lieutenants zu verhören. Sie trat hinzu und klärte die Lage. Jost eilte davon, bevor sie ihm auch nur eine einzige Weisung hatte erteilen können.
    «Zum Glück sind Sie aufgetaucht, Fräulein Staufer», seufzte Herr Ganz. «Der Bursche hat mir doch tatsächlich die Leviten gelesen, weil ich nicht wusste, dass Lieutenant Wyndham ausgegangen ist.»
    «Nun, er nimmt seinen Dienst eben ernst», meinte Anna. Trotz ihrer Anspannung hatte die kleine Szene sie amüsiert.
    «Ja, ich will nicht klagen. Der Lieutenant muss sich regelrecht rausgeschlichen haben. Wer tut denn schon so etwas?»
    Auf diese interessante Frage hatte Anna auch keine Antwort. Sie machte eine ratlose Handbewegung. «Ich sorge jetzt besser dafür, dass in der Suite alles bereit ist, damit der Lieutenant sich gleich hinlegen kann.»
    Sie machte sich auf den Weg nach oben. Es war das erste Mal seit Lieutenant Wyndhams Ankunft, dass sie die Räume betrat. Jost hatte für tadellose Ordnung gesorgt, alles war an seinem Platz. Sie ging ins Schlafzimmer, schlug das Bett auf und blickte um sich. Irgendwo sollte der Lieutenant doch wohl Schmerzmittel zur Hand haben. Es war nichts zu sehen, aber Jost wusste das hoffentlich. Viel mehr konnte sie im Moment nicht tun – sie musste sich auf Jost verlassen.
    Und trotzdem fiel es ihr schwer, die Suite zu verlassen, sie blieb im Lesezimmer stehen. Wenn Gäste länger blieben, dann veränderte sich die Atmosphäre in ihren Zimmern. Die Räume nahmen etwas von der Persönlichkeit ihrer vorübergehenden Besitzer an. Anna schaute um sich. Auf dem Beistelltisch neben dem Lesesessel stapelten sich ordentlich gefaltete englische, französische und deutsche Zeitungen. Daneben lag eine kleine Mappe mit Landschaftsaufnahmen von Sternenbach, wie sie der örtliche Photograph und Buchhändler den Gästen verkaufte. Die musste Jost besorgt haben, damit der Lieutenant einmal mehr vom Tal und den Bergen sehen konnte als nur die Aussicht, die ihm von der Kleinen Suite aus geboten wurde.
    Ohne die dichtende Hofdame anzublicken, trat Anna an das Schreibpult. Zwei Bücher lagen neben einer blauen Mappe auf der Arbeitsfläche, eines davon war ein japanisch-englisches Wörterbuch. Damit war zumindest das Rätsel, in welcher Sprache all die fremden Bücher geschrieben waren, gelöst. Anna blätterte ein wenig darin. Sie hätte zu gerne gewusst, nach welcher Ordnung die Schriftzeichen eingereiht waren.
    Sie wandte sich dem anderen Buch zu. Auch ohne viel davon zu verstehen, sah sie, dass es teuer sein musste. Es war

Weitere Kostenlose Bücher