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Chiffren im Schnee

Chiffren im Schnee

Titel: Chiffren im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Berlinger
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nicht mit Leim gebunden, sondern zusammengenäht worden. Der Faden spannte sich gut sichtbar in Quer- und Längsstichen über den Buchrücken und die beiden Buchdeckel und bildete dabei ein hübsches Muster. Sie öffnete das Buch sorgfältig und war überrascht, wie dick und schwer das Papier war. Die vertikal angeordneten Schriftzeichen bildeten ein schönes Muster, hinter dem sich eine ferne, fremde Welt verbarg.
    Schuldbewusst klappte Anna das Buch zu; es war schon sehr lange her, dass sie so etwas Ungehöriges getan hatte. Sie rückte die beiden Bücher zurecht und hastete aus der Suite.
    Sie wollte gerade nach oben, um Mantel und Hut abzulegen, als die Lifttür aufging. Jost hatte den Lieutenant sicher ins Hotel zurückgeschafft und half ihm nun zur Suite. Anna trat in den Schatten des Eingangs zur Wäschekammer zurück.
    Als sich die Tür zur Suite schloss, bemerkte sie, dass sie nicht alleine war. Auf der Treppe nach oben stand eine Frau in einem Nachmittagskleid aus weinroter Seide mit Silberstickereien an Schultern und Ärmeln, dazu trug sie eine lange zweireihige Perlenkette, die ihr fast bis zur Taille reichte. Sie kam ein paar Schritte näher, begleitet von einer Wolke schweren Parfums.
    «Oh, ich hoffe, der gute Mann leidet an nichts Ansteckendem», hauchte sie mit russischem Akzent.
    «Es besteht kein Anlass zur Beunruhigung, gnädige Frau. Es ist nur eine alte Verletzung, die ihm zu schaffen macht – das ist alles.»
    Die Worte waren eine weitere Gratwanderung zwischen Wahrheit und Lüge, das fiel ihr inzwischen schon viel zu leicht. Die Dame spielte geziert mit ihren Perlen. «Und was für einen ausgesprochen robust gebauten Hausburschen Sie da haben. Kann man ihn für eine Bergtour anheuern?»
    «Er ist kein Bergführer, und im Winter sollten nur geübte Alpinisten Touren unternehmen. Es ist sehr gefährlich – vor allem jetzt bei Neuschnee.»
    Die Frau lachte. «Oh, ich glaube, ich würde mich in diesen Armen immer sicher fühlen.»
    Anna hielt es für besser, darauf nichts zu erwidern. Die Dame rauschte an ihr vorbei nach unten, und Anna bedachte den eleganten Rücken mit einem zornigen Blick.
    Sie ging in ihre Kammer, um Hut und Mantel abzulegen und sich einen Moment zu sammeln. Ihre Tränen waren getrocknet – aber ihren Kummer hatte sie nicht vergessen, und ihre Kopfschmerzen waren auch nicht verschwunden. Sie strich sich die Haare glatt und kehrte an ihre Arbeit zurück.
    Gegen den späteren Nachmittag ging sie zur Kleinen Suite, um dort einmal nach dem Rechten zu sehen. Jost öffnete die Tür und wollte sich gleich für sein Pflichtversäumnis entschuldigen. Er machte sich Vorwürfe, dass er die Absicht des Lieutenants, alleine auszugehen, nicht erkannt hatte.
    Anna unterbrach ihn. «Lass gut sein. Es war wirklich nicht deine Schuld. Du musst nicht die ganze Zeit auf ihn aufpassen. Wie geht es ihm? Soll ich nach Doktor Reber schicken?»
    Jost trat zu ihr auf den Gang hinaus. «Ich weiss nicht, Fräulein Staufer. Er hat wohl Schmerzen, seit er hier angekommen ist, aber so schlimm war’s noch nie. Trotzdem will er vom Doktor nichts wissen.»
    «Hat er denn wenigstens seine Medikamente genommen? Wenn es so schlimm um ihn steht, muss er doch etwas bei sich haben.»
    «Davon weiss ich nichts, Fräulein Staufer. Gesehen habe ich so etwas nicht. Soll ich ihn fragen?»
    Sie schüttelte den Kopf. «Nein, schon gut. Aber hab ein Auge auf ihn und lass mich oder Herrn Ganz am Abend wissen, wie es um ihn steht.»
    Jost nickte unglücklich und kehrte in die Suite zurück, trotz allem schien er sich verantwortlich zu fühlen. Es war zwar schön, dass er so in seinem Dienst aufging, aber dass er sich nun solche Vorwürfe machte, war nicht gut. Anna beschloss, sich mit Herrn Ganz zu beraten. Doch im Vestibül wurde sie aufgehalten.
    «Stauffacherin, Stauffacherin», wisperte es aus der Ecke hinter einem der Tannenbäume hervor, die Herr Brehm im ganzen Hotel verteilt hatte.
    Hennings Kopf tauchte zwischen den Ästen auf, er winkte sie zu sich. «Ich habe gehört, Sie wären zur guten Samariterin geworden. Und sieht Lieutenant Wyndham wirklich so gut aus, wie Helen und Edith behaupten?»
    «Was spielt denn das für eine Rolle, wie er aussieht. Und überhaupt, ich werde mich mit den Mamsells einmal ernsthaft unterhalten müssen.»
    «Ach, seien Sie nicht so streng. Die meisten Gäste im Haus sind momentan doch Tattergreise, da können Sie es den Mädchen wirklich nicht verübeln, wenn sie bei einem

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