Chill mal, Frau Freitag
also wieder durch den Pädagogentanz beeindrucken – da rudert man mit den Armen durch die Gegend, die Hände zu Fäusten verkrampft. Sieht nicht cool aus. Sieht aus wie: Guck mal, die Lehrerin tanzt auch. Egal, Hauptsache, die Hochsteckfrisur fetzt.
Ich habe gerade noch mal nachgezählt: Bis zur Zeugnisausgabe sind es wirklich nur noch dreißig Tage, ungefähr. Und bis zur Zensurenabgabe nur drei oder vier Wochen. Dann endet jede letzte Chance. Rien ne va plus. Die Schüler sehen das irgendwie anders. Für die scheinen drei Wochen eine halbe Ewigkeit zu sein, und ich bin mir sicher, die denken, sie könnten ihre sieben Ausfälle noch problemlos wegbekommen.
Na ja, für mich sind drei Wochen wie ein Wimpernschlag. War was? Ach, drei Wochen sind rum. Wahrscheinlich liegt das daran, dass bei mir viel weniger passiert als bei meinen Schülern. Die können sich innerhalb von drei Wochen völlig neu erfinden: »Warst du nicht Emo?« – »Frau Freitag, das ist doch schon eeewig her. Ich bin doch schon laaange B-Boy.« Lange – drei Wochen eben. (Emos sind so traurige Gestalten, die viel schwarz tragen. B-Boys sind die in den weiten Hosen, die Hip-Hop hören.)
Ich war vor drei Wochen Lehrerin, bin es immer noch und werde es wohl auch in den nächsten drei Wochen noch sein. Bei mir ändert sich wenig. Die Haare werden grauer, die Hosen enger und ab und zu geht das Telefon kaputt. Aber sonst … Stört mich das? Will ich noch mal Teenager sein? Auf keinsten! Mit den Eltern zusammenwohnen? Was für ein skurriles Konzept. Ständig Stress mit den besten Freundinnen? Jungs gut finden, die einen nicht beachten? In der Schule nichts von Mathe verstehen? Überhaupt immer zur Schule gehen und auf der falschen Seite sitzen? Lernen statt vor- und nachbereiten? Nö! Keinen Bock. Vielen Dank, aber ich passe. Ha, und überhaupt – zur Schule gehen, ohne dafür auch nur einen Cent zu bekommen: Wer will denn so was?
Ich verstehe gar nicht, warum die Schüler so gerne jung sind. Warum tun die nicht alles dafür, endlich alt und erwachsen zu sein. Merken die denn nicht, dass Erwachsene es viel besser haben? Okay, gebt mir die Teenagerfähigkeit, Breakdance zu können, aber ansonsten lasst mich mal schön in Ruhe älter werden.
Was Hallo?
Viele Lehrer auf einem Haufen bedeuten selten etwas Gutes. Erster Gedanke: Lehrerzimmer. Aber Lehrer treffen sich auch privat. Gestern wimmelte es nur so von Lehrern in meiner Wohnung. Alle haben schlechte Augen. Keiner hört dem anderen zu. Jeder ist es gewohnt, Chef zu sein. Alle wissen immer alles besser und alle sind viel zu laut. Ich liebe es. Ich finde, die Welt könnte nur aus Lehrern bestehen.
Wir sitzen und reden und reden und essen und reden und reden und reden. Ich erzähle, dass ich mir die Telefonnummer von Fräulein Krise nicht merken kann. Ich denke immer, die ist 809 90 54 44, aber eigentlich ist die 80 90 54 44. Ich kann mir das einfach nicht merken, aber ich habe die richtige Nummer irgendwo aufgeschrieben.
»Jedenfalls, immer wenn ich sie anrufe und die falsche Nummer wähle, dann ist am anderen Ende erst mal Stille, und ich sage vorsichtig: ›Hallo?‹ – und dann schreit so ein total unfreundlicher Typ in den Hörer: ›WAS HALLO?‹« Fräulein Krise kichert. Sie kennt dieses Phänomen schon.
»Der ist so krass, so gemein, und ich hab voll Angst vor dem. Wenn ich dann frage: ›Ist da bei Krise?‹, dann sagt er nichts, wartet einfach nur ab und brüllt irgendwann: ›WAS JETZT?‹«
Fräulein Krise grinst übers ganze Gesicht. Ich erzähle von meiner Vermutung, dass sie sich in ihrer Wohnung einen fiesen Typen hält, den sie ab und zu ans Telefon gehen lässt.
»Ich bin immer total geschockt, wenn ich mit dem Typen gesprochen habe, die richtige Nummer raussuche und dieses typisch süße, niedliche ›Kriiise!‹ ertönt. Aber dann hat sie so einen ominösen Unterton in der Stimme und ich bin mir gar nicht sicher, dass dieser Typ nicht direkt neben ihr steht.«
Der Physiklehrer holt sein Handy raus: »Also, wie ist die Nummer? Komm, wir rufen da mal an!«
»Nein, lass mal.« Leichte Panik steigt in mir auf. »Wenn der jetzt rausfindet, welche Nummer …«
»Unterdrücke ich. Also, sag mal die Nummer.« Er wählt und stellt auf Lautsprecher. Wir beugen uns alle über sein Telefon und warten gespannt. Ich habe Angst und flüstere: »Aber sag nicht, dass ich auch hier bin.«
Tuut, tuut, tuut – niemand nimmt ab. Ich bin erleichtert. »Schade«, sagt Frau Dienstag. Aber
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