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Chill mal, Frau Freitag

Titel: Chill mal, Frau Freitag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frau Freitag
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vom Staat bezahlt. Also, sagen wir mal, du bist jetzt Kanzler und die Steuereinnahmen sind mies. Also, mies wenig. Finanzkrise und so. Wo würdest du denn sparen?«
    Wir diskutieren ein wenig rum, Ufuk macht den Vorschlag, die Insassen von Gefängnissen für lau alles Mögliche arbeiten zu lassen. Ich schlage vor, dass sie ihren Haftaufenthalt in Rechnung gestellt bekommen. Schnell sind wir wieder bei den Pokerräubern. Davon können meine Schüler und auch die von Fräulein Krise gar nicht genug bekommen. Ähnlich wie ich mich an den schlechten Stunden von Referendaren erfreue, macht es ihnen Spaß zu hören, dass sich jemand noch viel bekloppter angestellt hat als sie.
    Plötzlich fragt Erol von hinten: »Frau Freitag, warum sagen die Deutschen denn immer, dass die Ausländer ihnen die Arbeit wegnehmen?«
    »Sagt das denn noch jemand? Das ist doch ein uralter Spruch.« Und außerdem haben nur die wenigsten Eltern meiner »ausländischen« Schüler einen Job, also dachte ich, dieses Vorurteil wäre vom Tisch. Erol findet die Aussage extrem undankbar: »Schließlich wäre Deutschland ja jetzt immer noch kaputt ohne die Ausländer.«
    Ich frage: »Wie, kaputt?«
    »Na, durch Hitler und den Krieg war doch Deutschland zerstört, und dann kamen die Ausländer und haben alles wieder aufgebaut.«
    Häää, die Ausländer? Meint der die sogenannten Gastarbeiter, die Mitte und Ende der 60er Jahre kamen?
    »Wieso Ausländer? Deutschland wurde doch nach dem Krieg nicht von den Ausländern aufgebaut.«
    »Doch, doch!« Jetzt mischen sich auch noch andere ein.
    Ich bin verwirrt. »Nein! Stopp, ihr verwechselt da was. Das war anders. Mert, jetzt sag doch auch mal was.« Ich wende mich an den einzigen Gymnasialempfohlenen in der Gruppe.
    »Na ja, da waren die Trümmerfrauen.« Ja, denke ich, die Trümmerfrauen! Endlich. Aber von denen hat noch nie jemand gehört. »Häh, Trümmerfrauen?« – »Was Trümmerfrauen?« Aus langjähriger Erfahrung an meiner Schule weiß ich aber, dass die Tatsache, dass selbst dann, wenn die gesamte Gruppe von irgendwas noch niemals gehört hat, es nicht automatisch bedeutet, dass diese Sache nicht existiert.
    »Mert, komm, die Fakten bitte! Wann kamen die ersten Gastarbeiter nach Deutschland?« Jetzt höre ich Jahreszahlen, »Italiener«, »Vollbeschäftigung«, »Fabrikarbeit« und beruhige mich wieder etwas. Allerdings guckt Erol immer noch skeptisch, er scheint noch nicht völlig überzeugt zu sein.
    Es klingelt. Ich renne entsetzt ins Lehrerzimmer, suche Erols Geschichtslehrer und berichte allen Kollegen von Erols persönlicher Geschichtsinterpretation. »Das geht doch nicht. Ich bin zwar kein Historiker, aber man kann sich die Geschichte doch nicht so hinbasteln, wie man will. Die können doch nicht einfach so was behaupten, nur weil sie das gerne hätten. Die Türken haben auch nicht Amerika entdeckt. Den Kaffee haben sie nach Wien gebracht und natürlich stammt auch der heilige Nikolaus aus der Türkei – aber die können doch nicht den Trümmerfrauen so in den Rücken fallen.«
    »Wieso?«, fragt ein Kollege. »Lass sie das doch glauben. Hitler hat doch auch die Mauer gebaut.«
    Die Rache der frühen Geburt
    »Das verstehen Sie nicht, das ist was mit Telefon«, sagt Harun.
    »Telefon. Aha, das verstehe ich nicht, ja? Ich habe schon telefoniert, da warst du noch gar nicht geboren«, antworte ich gekränkt.
    »Ich bin erster als Sie geboren!«, ruft Ömer aus der letzten Bank zu mir nach vorne.
    »Ach, meinst du, du bist älter als ich? Danke für das Kompliment, aber dann frag dich mal, warum du da hinten sitzt, und ich hier vorne stehe.«
    Schüler denken immer, man hätte von nichts eine Ahnung. Der Mathelehrer interessiert sich NUR für Mathe, und ich habe auch gar keine Ahnung von irgendetwas anderem als von dem, was ich ihnen da täglich präsentiere?
    In gewisser Weise haben sie ja recht. Aber sie unterschätzen meine exzessive Persönlichkeitsstruktur. Wenn ich mich für World of Warcraft interessieren WÜRDE, wäre ich nach ein paar Tagen total süchtig und dann auch irgendwann sehr gut darin. Wäre Breakdance in meiner Jugend nicht so dermaßen uncool gewesen, ich würde heute noch den Original Old School Headspin beherrschen. Und nur weil ich kein Handy besitze (brauche ich nicht, bin ja entweder in der Schule oder zu Hause), heißt das nicht, dass ich, wenn ich eines hätte, mich nicht damit auskennen würde. Außerdem hätte ich natürlich das neuste iPhone, und das hätte ich mir

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