Chill mal, Frau Freitag
doch Lehrerin, und außerdem noch ganz neu an der Schule. Die muss sich doch vor- und nachbereiten und nachts von allem träumen. Darf die das? Privatleben haben? Jetzt schon?
Als ich anfing, war ich fleischgewordenes Unterrichtsmedium. Menschlicher Fortsatz des Overhead-Projektors. Ein Teil der Tafel. Wenn ich nicht im Unterricht war, dann habe ich ihn vorbereitet oder darüber gesprochen, und ehrlich gesagt hat sich daran auch noch nichts geändert. Auf meiner Stirn steht: Lehrerin! Bräuchte da aber gar nicht zu stehen, denn jeder erkennt meinen Beruf an meiner Kleidung, meiner Mimik, Gestik und an jedem Wort, das meine Lippen verlässt. Dafür werde ich bezahlt, ich bekomme doch auch in den Ferien Geld. Deshalb muss ich doch auch in den Ferien Lehrerin sein. Ich bin immer mein Beruf. Immer im Dienst. In der Schule und vor allem außerhalb der Schule. Ich maßregele jedes Kind und jeden Jugendlichen auf der Straße. Wirft jemand Müll neben den Papierkorb, zwinge ich ihn, den Abfall aufzuheben, und halte einen kurzen knackigen Vortrag zum Thema Normen und Werte, fachübergreifend mit Elementen aus dem Umweltschutz.
Also, ich bin immer Lehrerin und ich kann mir das auch gar nicht anders vorstellen. Ich bin doch auch immer Frau. Privatleben ist mir fremd und unheimlich. In meinem Freundeskreis habe ich ja auch nur Lehrer. Niemand in meiner Familie ist nicht Lehrer. Ich dachte immer, dass es allen Kollegen so geht. Und da kommt diese Junglehrerin, gerade mal ein paar Monate dabei, und erzählt mir was von Hobbys und anderen Interessen …
Ich habe bis zur nächsten Pause gewartet und mich dann aber doch für das einzig Richtige entschieden. Ich bin zur Schulleitung und habe denen alles erzählt. Privatleben! Pah, wo kommen wir denn da hin? Wenn das jeder hätte …
Schon wieder ein Neuer
Ich bin ganz aufgeregt. Am Montag kommt noch ein neuer Kollege. Hoffentlich ist das nicht auch wieder so einer mit außerschulischen Interessen. Er wird auch in meiner Klasse unterrichten. Ein Neuer! Unbefristet, dauerhaft, für immer eingestellt. Ein Mann! Ich frage im Lehrerzimmer rum: »Hast du den schon gesehen?« Die Kollegen wissen mal wieder gar nichts. Keinen einzigen von denen hätte ich für meine Stasitruppe ausgewählt. Neugier fehlt denen völlig. Ich frage den Schulleiter: »Herr Kaleu … es kommt ja ein neuer Kollege. Wann fängt der an? Nächste Woche?« Es soll ganz beiläufig klingen.
Er nur: »Ja.«
»Und, haben Sie den schon kennengelernt?«
»Frau Freitag, ich habe den doch eingestellt.«
Ich möchte endlich meine Frage beantwortet kriegen: Sieht der gut aus? Gutaussehende Kollegen sind an meiner Schule ziemliche Mangelware. Extreme Bückware, könnte man auch sagen. Gutaussehende Kolleginnen gibt es wie Sand am Meer. Das finden auch die Schüler: »Ihr habt nachher bei Frau Müller.«
Ahmet: »Frau Müller? Ist das die geile Blonde?«
Aber noch nie habe ich so was über einen Kollegen gehört. Ich möchte, dass meine Schülerinnen sich verliebt in der ersten Reihe drängeln und dem Kollegen an den Lippen hängen. Sie sollen immer und dauernd die Hausaufgaben machen, damit er sie bei der Rückgabe derselben anlächelt: »Gut gemacht, Samira.« Dann soll er die Jungs beim Rausgehen abklatschen: »Und baut keine Scheiße.« – »Wir doch nicht, Coach«, sollen sie rufen. Ich will begeisterte Erzählungen aus seinem Unterricht hören: »Bei Herrn Blabla macht es voll Spaß!« – »Ja, vallah , der is krass mies.« (»Mies« ist der Superlativ von »gut«.) – »Ja, Beste, ich schwör!« Und dann soll er ins Lehrerzimmer schweben, gute Laune versprühen und jeder älteren, ach, was sag ich, jeder Kollegin Komplimente machen: »Frau Schwalle, Sie sehen aber heute entzückend aus.«
Mit Komplimenten gehen die Kollegen untereinander höchst sparsam um. Ich höre nur ab und zu: »Du siehst aber schlecht aus, bist du krank?« Oder: »Was ist denn mit dir los, hast du heute schon in den Spiegel geguckt?« Allerdings erinnere ich mich an eine Begebenheit vor etwa vier Jahren. Ich ging zum Lehrerzimmer und kam an einigen älteren Schülern vorbei, die ich noch nie gesehen hatte: »Frau Freitag, wollten Sie mal Model werden?« Ich bleibe wie angewurzelt stehen: »Jungs, ach, das ist ja … You made my day!« Und schon waren meine Schritte leichter, ich tänzelte ins Lehrerzimmer und erzählte jedem davon.
Ich setze meine ganze Hoffnung auf den neuen Kollegen: »Sabine, was schreibst du denn Samira da auf die
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