Chill mal, Frau Freitag
dass ich sie trotzdem alle mag? Mein Freund sagte neulich: »Du hast da aber auch eine Persönlichkeitsdichte in deiner Klasse.« Und das stimmt, es gibt eigentlich nur zwei, von denen man eventuell den Namen vergessen könnte. Die anderen gehen einem täglich so auf die Ketten, dass man ihre Namen im Tiefschlaf buchstabieren kann und ihre Gesichter einem noch in der Mitte der Sommerferien vor den Augen tanzen.
Woran liegt das? Ist das Zufall? Warum haben andere Klassen diese graue Masse? Diese Haufen von Mädchen, die alle gleich aussehen und bei denen nur eine oder zwei den Ton angeben und die anderen folgen. Oft denke ich, dass ich jedem einzelnen zu viel Raum gegeben habe, um ihre schrägen, lauten, ausufernden Persönlichkeiten zu entfalten. Vielleicht hätte ich sie viel mehr deckeln müssen. Jetzt habe ich eine Klasse voller Selbstdarsteller, die die meiste Zeit vergessen, dass ich eigentlich der Chef bin. Zu Hause auf meinem Schreibtisch steht ein Bild von meiner Klasse, da stehen und sitzen sie so harmlos rum, wie der Fotograf es wollte. Aber wenn man näher rangeht, dann sieht man in jedem einzelnen Gesicht, dass sie zwar für eine Minute ruhig stehen, aber schon in der nächsten Stunde den Unterricht, den Lehrer und den Raum auseinandernehmen können. Wann stellt sich bei ihnen der Idealzustand ein? Ich habe nicht mehr viel Zeit. Die sind schon in der Neunten. Wann kann ich endlich die Früchte meiner Arbeit ernten? Oder bleiben sie giftige Beeren, die zwar gut aussehen, aber zum Tode führen? Habe ich einfach total falsch gearbeitet? Falsche Prioritäten gesetzt? Sollten guter Humor und eine nette Gemeinschaft nicht die obersten Unterrichtsziele einer Klassenlehrerin sein?
Gestern berichtete die Physiklehrerin, Frau Schwalle, die zwei Wochenstunden in meiner Klasse unterrichtet, von ihrem Unterricht. In der ersten Stunde hätten die Schüler sehr gut mitgemacht – das hörte ich zum ersten Mal seit Schuljahresbeginn. Während sie das sagte, gab sie mir eine Liste mit den Schülerinnen und Schülern, die gefehlt hatten. Ich dachte: Klar waren die gut. Die drei Queens hatten ja auch gefehlt. Allerdings wollte ich das Lob nicht gleich relativieren und sagte deshalb nichts. In der fünften Stunde hatte sie wieder meine Klasse, und da waren alle laut und wie immer. Irgendwann sagte Abdul: »Samira, heute morgen warst du nicht da, und da waren alle leise und haben gut mitgemacht.« Samira war sofort ein geschnappt und verließ den Raum. Nach fünf Minuten kam sie wieder. Die Klasse saß da – mucksmäuschenstill. Daraufhin rannte Samira wütend raus und kam gar nicht mehr zurück.
Ich kann mir diese Szene gut vorstellen. Schade, dass ich nicht dabei war, und schade, dass ich nicht der ganzen Klasse für diese Aktion eine gute Note auf ihren Zeugnissen geben darf. Und schade, dass ich mir meine Klasse nicht einfach nur im Fernsehen ansehen kann. Denn es ist ja nicht immer nur lustig bei uns in der Schule. Es kann ja auch wirklich krass sein. Zum Beispiel dann …
Wenn es Kampf gibt
Wenn es Kampf gibt, dann liegt was in der Luft. Wenn es Kampf gibt, dann wird getuschelt. Wenn es Kampf gibt, sind alle todernst, niemand lacht. Wenn es Kampf gibt, ist was los.
Wenn Mädchen kämpfen, schwelen Konflikte. Wenn Mädchen kämpfen, werden alte Sachen aufgekocht. Wenn es Kampf unter Mädchen gibt, dann weil die eine Scheiße labert, weil sie hinterm Rücken redet, weil sie Mütter beleidigt, weil sie uns sagt, wir seien die größten Bitches auf der Schule, weil sie mir Missgeburt und Hurentochter sagt.
Wenn Mädchen streiten, müssen sich alle einmischen, weil sie meine beste Freundin ist, weil ich sie zurückhalten wollte, weil sie mich auch beleidigt hat. Ich wollte nur mit ihr reden, warum sie so macht. Sie kennt mich doch gar nicht. Ich kenne diese Mädchen gar nicht. Warum erzählt sie so Scheiße über mich? Ich wollte nur reden, sie hat mir eine geklatscht. Sie hat mir Schelle gegeben. Ich habe ihr nur ein Box verpasst. Ich wollte keinen Streit. Ich wollte nur reden. Warum hat die sich eingemischt. Die hatte gar nichts mit der ganzen Sache zu tun.
Wenn es Kampf gibt, dann in der Pause. Kampf ohne Zuschauer gibt es nicht. Kampf magnetisiert, alle stehen außen rum und schreien: »Kampf, Kampf, Kampf!«
Die eine stand da und hat auch zugetreten, die hatte gar nichts damit zu tun. Wir wollten nur reden, dann hat sie meine Haare gezogen. Ich wollte nur meine Freundin helfen.
Wenn es Kampf gibt, sitze ich
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