Chill mal, Frau Freitag
stundenlang mit der Schulleitung zusammen. Je mehr man hört, umso verwirrender wird alles. Wenn es Kampf gibt, dann wollten alle nur schlichten, und ein Mädchen liegt weinend im Krankenhaus.
Körperliche Auseinandersetzungen finden meistens in den großen Pausen auf dem Hof statt, während wir Lehrer gemütlich bei Kaffee und Salamibrötchen über unsere Rückenschmerzen klagen oder vom Urlaub erzählen. Leider kann man aus dem Lehrerzimmer direkt auf den Hof gucken. Ab und zu kommt es dann eben vor, dass sich plötzlich eine riesengroße Menschentraube bildet. Alle Schüler rennen dann dorthin. Ich denke immer: Vielleicht machen die ein Breakdancebattle und stehen nur um die Tänzer rum.
Wer die Schülermasse zuerst sieht, muss auch handeln: »Oh, da braut sich was zusammen.« Einige Kollegen lassen sich nie aus der Ruhe bringen: »Ich hab Pause.« Als Klassenlehrer betet man sofort: Bitte, lass es nicht Mehmet sein oder Abdul, bitte, lieber Gott, mach, dass Samira den Streit von neulich bereits friedlich mit den Mädchen aus der Parallelklasse geklärt hat.
Und dann gehen wir raus. Gemeinsam mit den Kollegen, die auf dem Hof Aufsicht haben, nähern sich von allen Seiten die Lehrkörper. Einige Schüler weichen bereits bei unserem Anblick zurück. Aus Erfahrung wissen sie, jetzt ist die Action gleich vorbei. Dann geht man in die Schülermasse und sieht entweder in sich verknotete Kämpfer auf dem Boden oder zwei Kontrahenten, die sich mit wutverzerrtem Blick Gemeinheiten entgegenschleudern: »Ich bring dich um!« – »Warte nur bis nachher, ich hole meine Brüder und Kusengs!«
Festgehalten werden die beiden Kämpfer von ruhigen, starken Tonangebern. Klassenchefs, die Autorität haben auf dem Hof. Diese Schüler wissen genau, wann sie die Kämpfenden auseinanderzerren müssen. Sie gucken sich den Kampf eine Weile an, und wenn es zu brutal wird oder wenn sich Lehrer nähern, dann trennen sie die Streitenden voneinander.
Sobald wir Lehrer die Kontrahenten erreicht haben, klären wir, wer in den Konflikt verwickelt war. Ob es Verletzte gibt und so weiter. Wir nehmen die Beteiligten mit, manchmal auch ein paar Zeugen und gehen mit ihnen ins Sekretariat. Damit ist für die anderen Schüler die Sache beendet, und sie erinnern sich daran, dass in der Zwischenzeit bereits der Unterricht begonnen hat.
Findet man die armen Klassenlehrer der Beteiligten, übergibt man die Kampfhähne und freut sich, nichts weiter mit der Sache zu tun zu haben. Ist man selbst der Klassenlehrer, verflucht man dieses Amt und schwört sich, dass man nie wieder eine Klasse übernehmen wird, denn dann folgen für einen noch endlose Befragungen, Telefonate mit Eltern, mit der Polizei, man muss Aktennotizen anfertigen und Zeugenaussagen aufschreiben. Das kostet viel Kraft und frisst jede Pause und Freistunde.
Und das Schlimme: Die, die sich gestern noch geschlagen haben, sieht man am nächsten Tag wieder lachend gemeinsam über den Hof schlendern.
»Es gibt doch auch noch andere Sachen«
Da die meisten Pausen bei uns aber eher friedlich verlaufen, hat man im Lehrerzimmer immer die Gelegenheit zum kleinen Plausch. Vor ein paar Tagen habe ich mich mit einer neuen Kollegin unterhalten – man könnte schon fast Junglehrerin sagen, sie ist unter 50. Sie so und ich so, und sie dann wieder, und ich dann: »Echt?« Und sie: »Ja, voll!« Und ich: »Äh?« Und dann hat es geklingelt, ich bin in den Unterricht, sie auch, aber ich musste noch lange über unser Gespräch nachdenken.
Sie sagte nämlich irgendwann: »Es gibt ja auch noch ein Leben nach der Schule.«
Was meint sie? Ich gucke zum älteren Kollegen, der müde in seinem Kaffee rührt. Würde er nicht rühren, könnte er auch tot sein.
Ein Leben nach der Schule? Klingt wie Ausländisch. Was will sie damit sagen?
Sie fröhlich: »Ja, es gibt doch noch die eigenen Kinder, Lesen, Verreisen, Garten, Origami, Theater, Kino, Makramee, Musik, Freunde.« Sie hört gar nicht auf, mir Dinge aufzuzählen, die mir irgendwie bekannt vorkommen, die aber in meinem Alltag so gut wie gar nicht mehr auftauchen.
Ein Leben neben oder nach der Schule – was soll das sein? Telefonate mit Fräulein Krise und Analysen mit Frau Dienstag? Wenn ich nach der Arbeit kopfüber noch mal so richtig tief in das Schulerlebte eintauche und in den Vormittagsereignissen bade? Lesen? Zählen da auch schon die Englischarbeiten der 8c zu? Verreisen – meint sie Klassenfahrt? Wie kann denn diese Frau noch leben – sie ist
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