Chill mal, Frau Freitag
Frau von der Leyen und Ali vorm Kanzleramt. Daneben Alis Mutter, die weint, Ali fällt von der Leyen um den Hals, dann: eine Großaufnahme von seinem roten Ferrari.
Ali träumt vom Sportwagen, und ich sitze in der Zensurenkonferenz und fantasiere: Meine Klasse ist fein und klein. In meiner Klasse sind nur achtzehn Schülerinnen und Schüler. Ich kenne alle Eltern. Sie kommen oft in die Schule und bringen Essen und Getränke für die Schulfeiern, die wir ständig veranstalten. Sie verkaufen die leckeren Speisen und der immense Erlös fließt in die Klassenkasse. Die ist so fett, dass wir immer irre Wandertage veranstalten: Extremklettern, Kanu fahren, Bungee-Jumping …
Konflikte gibt es zwischen den Schülern kaum, und wenn doch, dann lösen sie die in herrlichstem Hochdeutsch alleine. Gewalt ist ein Fremdwort, das die Schüler nur aus den Nachrichten kennen. Überhaupt kennen sie viel, weil sie nicht nur die Tagesschau , sondern auch sämtliche Politsendungen ansehen. Der häusliche Computer wird nur für die Hausaufgaben genutzt. Alle Schüler wollen das Abitur machen und sprechen dauernd davon, was sie alles tun, um ihre Leistungen zu verbessern. Manchmal muss ich sie daran erinnern, dass sie als Teenager auch ein Recht auf Freizeit und Spaß haben. Sie kennen weder MSN noch Counterstrike und sie wissen nicht, was ein Puff ist.
Alle Kollegen schwärmen vom Unterricht in meiner Klasse. Alle reißen sich darum, dort zu unterrichten. Mir werden Unsummen geboten, damit ich sie in mein Fachlehrerteam aufnehme. Der Schulleiter sagt auf jeder Konferenz Dinge wie: »Es kann ja nicht nur Fraufreitagsklassen geben«, oder: »Fragen Sie mal Frau Freitag, wie die das macht.«
Referendare werden immer meiner Klasse zugeteilt. Nach dem ersten Unterrichtsbesuch kommen die Seminarleiter mit all ihren Teilnehmern, um »die perfekte Klasse« zu begutachten. Während des Unterrichts in meiner Klasse kann ich meinen Raum aufräumen oder Kaffeetrinken gehen, weil die Schüler nur noch selbstständig lernen. Ich gehe jeden Tag pfeifend nach Hause und lege mir mehrere Hobbys zu, da ich so entspannt bin und plötzlich so viel Freizeit habe.
Ich streite mich mit Fräulein Krise und habe ein Zerwürfnis mit Frau Dienstag, weil ich deren Gejammer gar nicht mehr verstehe und immer gut drauf bin. Sie sind genervt von mir, da ich ständig versuche, ihnen gute Tipps zu geben. Nachdem sie mich wochenlang nicht zurückrufen, gebe ich es auf und denke, dass sie es im Gegensatz zu mir einfach nicht draufhaben.
In meinem Traum scheint außerdem jeden Tag die Sonne. Wenn ich in die Schule gehe, scheint sie, und wenn ich rauskomme, dann auch. Und es sind immer nette 24 Grad und der Himmel ist blau. Auch im Winter.
Von weit entfernt höre ich meinen Namen: »Frau Freitag, Frau Freitag!« Es ist der Schulleiter. Ich soll die Zensuren meiner Klasse vorstellen. »Äh, also, versetzungsgefährdet sind fünfzehn Schüler. Al-Habibi, Abdul: zwölf Ausfälle in folgenden Fächern …«
Frau Freitags Rede zum Halbjahresende
In der zweiten Stunde halte ich eine Predigt: »Ich verstehe euch nicht. Warum ist euch eure Schulbildung so egal? Ihr seid jetzt in der 9. Klasse, da müsstet ihr doch endlich mal raffen, dass es um eure Zukunft geht. Wollt ihr euch denn nie etwas leisten können? (Hier inspiriert von Fräulein Krise.) Wollt ihr nie verreisen, euch teure Sachen kaufen? Ihr werdet nie viel Geld haben, wenn ihr keinen Schulabschluss macht. Einige von euch werden nach dieser Klasse die Schule verlassen, wenn sie sich nicht anstrengen. Dann habt ihr gar keinen Abschluss. Wollt ihr denn euer Leben lang Hartz IV bekommen, irgendwelche Hilfsjobs machen oder schwarzarbeiten? Jetzt ist eure Chance, etwas für eure Zukunft zu tun. Es ist doch euer Leben! Abdul, willst du denn später mit fünfzig sagen: Mein Chemielehrer war doof, und jetzt habe ich keinen Schulabschluss, keine Ausbildung und keinen Beruf, weil ich meinen Chemielehrer nicht mochte? Ja, denkt ihr denn, ich mochte meine Lehrer?« Plötzlich spüre ich mehr Aufmerksamkeit als vorher.
»Warum sind Sie denn dann Lehrerin geworden?«, fragt Sabine.
»Ich bin doch nicht Lehrerin geworden, weil ich meine Lehrer mochte!«, schreie ich, völlig fassungslos. Wie die Schüler auf so was kommen. »Die meisten meiner Lehrer mochte ich nicht. Eine habe ich gehasst. Die hätte ich umbringen können. Die hat mir dann auch eine Fünf im Abitur gegeben. Und ich habe trotzdem das Abitur bestanden. Ich habe
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