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Chill mal, Frau Freitag

Titel: Chill mal, Frau Freitag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frau Freitag
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in euren Häusern sein. Achtzehn Wochen nichts gemacht – heißa, heut ist Zeugnistag!
    Hihi, Zeugnistag: Stoisch nehmen sie die Beweise für ihre dumpfe Faulheit in Empfang. Wortlos lassen sie die pädagogischen Worte über sich ergehen, während ich in der einen ihre Hand und in der anderen ihr Halbjahreszeugnis halte.
    »Nach oben alles offen.« Wie oft habe ich das schon gesagt? »Bessert euch, tut was, ändert euch!« – »Und seht zu, wie ihr eure Eltern besänftigen könnt.«
    »Letzte Chance! Ich schwöre, ich bessere mich. Ich werde ab jetzt immer lernen. Ich werde versetzt. Ich versprech’s. Ich schwör!«
    Ihr lieben Eltern: Traut den Versprechungen nicht. Nehmt euch die Schultaschen oder das, womit eure Kinder täglich losziehen, wenn sie sich im Laufe des Vormittags aus dem Haus entfernen. Werft mal einen Blick hinein. Nur Schminkzeug und die vermisste Bürste. Keine Federtaschen? Habt ihr nicht ein Hausaufgabenheft gekauft? Und ja, die Bücher gehören der Schule und Frau Freitag wird sie so garantiert nicht wieder annehmen. Noch vor achtzehn Wochen waren die nagelneu, und seht sie euch nun an. Die werdet ihr bezahlen müssen. Fangt schon mal an zu sparen. Und sollte in der Tasche nicht auch ein Hefter liegen oder so etwas wie ein Block? Habt ihr eurem Kind nicht Geld gegeben, damit es sich Schulsachen kaufen kann? Gebt ihr ihm nicht jeden Monat Geld dafür? Und nun das!
    Seht euch die Zeugnisse genau an! Überall wimmelt es nur so von schlechten Noten. Nein, eine Vier ist keine gute Zensur, lasst euch das nicht erzählen. Lobt nicht die Drei in Kunst, die ist von der warmherzigen Frau Freitag aus Mitleid spendiert worden. Was ist mit Deutsch, Mathe, Englisch? Fragt nicht schon wieder, was Arbeitslehre ist. Merkt euch doch einmal, dass wir hier Punkte vergeben statt Noten und dass diese Punkte für bestimmte Noten stehen. Eure Kinder gehen doch nicht erst seit gestern auf diese Schule – wie hieß die doch gleich? Nicht gleich fünf Euro geben und das Kind nach draußen schicken! Handy wegnehmen, Kabel vom Computer einziehen, Fernseher konfiszieren! Tasche entrümpeln, gemeinsam mit dem Kind! Vielleicht sogar Nachhilfe. Ja, so was gibt es. Ja, nicht nur für Gymnasiumkinder! Ihr müsst nicht automatisch am Arsch der Gesellschaft hocken bleiben. Müsst ihr ganz und gar nicht, und lasst euch von eurem Kind nicht erzählen, es hätte keine Chance. Die Klassenbeste ist keineswegs ein Bildungsbürgerkind! Und denkt mal daran, was für eine gute Partie eure Kinder auf dem Heiratsmarkt abgeben, wenn sie ihr Geld selbst und vielleicht nicht in der Gebrauchtmobiltelefonvertriebsbranche verdienen würden. Fördern und Fordern. Das gilt nicht nur in der Schule, sondern auch für euch! Für ein wenig mehr Mitarbeit eurerseits wäre ich zutiefst dankbar. Und jetzt wünsche ich euch noch viel Spaß mit euren Gören zu Hause. Vormittags sind sie immer ganz besonders niedlich. Aber nach den Ferien beginnt ja das zweite Halbjahr, und das ist dann wirklich ihre allerletzte Chance.

6.
Das zweite Halbjahr
    Der Herr Geheimrat und seine Freunde
    Der Vollblutlehrer hat nur Lehrerfreunde, ist mit Lehrern verheiratet und meidet allgemein den Umgang mit Nichtlehrern. Mit meinem besten Lehrerfreund, dem Deutschlehrer, war ich das Halbjahresende feiern. Dazu brauchten wir Kuchen und betraten die türkische Bäckerei vor meinem Haus. Mein Lehrerkollege ist ein großer Kuchenfreund, und da er regelmäßig zu Besuch kommt, kennt er die türkische Bäckerin lange und gut.
    »Einen Bienenstich und eine Apfeltasche, bitte«, sagt er.
    »Bienenstich und Apfeltasche, gerne«, antwortet die Bäckerin und beugt sich in das Gebäck. Mein Lehrerfreund, der mir zeigen möchte, wie dicke er mit der Bäckersfrau ist, meldet sich wieder zu Wort: »Und die Zeugnisse der Kinder? Waren die gut?«
    »Ach, ach, nicht so gut, aber sie haben versprochen, nächstes Halbjahr wird alles besser.«
    Ich denke: Pfff, versprochen.
    Mein Lehrerfreund grinst breit und sagt so was wie: »Muss ja, muss ja, wird schon.«
    Was denkt der eigentlich, wo wir sind? Und in welchem Jahrhundert wir leben? »Sag mal, was war das denn?«, frage ich ihn draußen. »Wie sehen die Zeugnisse der Kinder aus? Oh, der Herr Lehrer, einen Bienenstich, jawohl, Herr Lehrer, und grüßen Sie die Frau Gemahlin, ach, da kommt ja auch der Herr Geheimrat. Oh, wir haben ein Problem, lasst uns mal den Herrn Lehrer fragen und den Herrn Geheimrat, den Herrn Doktor und den Pfarrer –

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