Chill mal, Frau Freitag
Mensch, wir sind doch nicht in Das weiße Band .«
Mein Lehrerfreund grinst nur zufrieden: »Wieso, ist doch geil.« Er scheint seine Rolle gerade voll zu genießen.
»Das hättest du wohl gern: ›Ach, der Herr Lehrer, noch einen Bienenstich, den Käsekuchen mit Sahne, Herr Lehrer?‹«
»Ja, genau, ist doch super!«
»Herr Lehrer, Herr Lehrer, gab es denn damals nie die Frau Lehrerin? Und hast du noch nicht gemerkt, dass es heute gar nicht mehr so ist? Wir Lehrer sind doch nur noch die faulen Säcke mit den langen Ferien, niemand will einen Rat von uns!«
Aber irgendwie hat er ja recht. Schön wäre es, wenn wir ein wenig mehr Ansehen genössen. Dann bräuchten wir uns auch keinen Kuchen zu kaufen, denn zum Halbjahresende würde man uns mit selbstgemachtem Gebäck und halben Schweinen überschütten: »Hier, Frau Lehrerin, eine kleine Aufmerksamkeit für Sie, und erholen Sie sich gut.«
Erste Stunde, neues Halbjahr
Ich komme rein, bin übertrieben nett. Warte, Tafelanschrieb, warte, dann hereinschleichende Schülergrüppchen. Ich: Smile!
»Guten Morgen, ihr Lieben.«
Schüler: Smile.
Ich weiter übertrieben nett. Schüler auch übertrieben nett. Wir alle total happy. Ich so glücklich, dass ich mich mit der Hälfte der Klasse gleich für die Mittagspause verabrede.
Zweite Stunde. Dieselben Schüler wie eben, nur weniger. Wir rücken voll nah zusammen und machen gemeinsam den herrlichsten Frontalunterricht, der nur funktioniert, wenn man sich voll lieb hat. Wir lieben uns alle und arbeiten wunderbar zusammen. Das heißt, ich arbeite am meisten, aber sie murren immerhin nicht, wenn sie etwas von der Tafel abschreiben sollen.
»Kriegen wir heute alle eine Eins?«, fragt Sabine.
»Wofür? Dafür, dass ich die Tafel vollgeschrieben habe?« Kurze mentale Notiz: Ich wollte doch nicht ironisch sein. »Ja, ich merke, dass ihr euch heute alle sehr anstrengt.« Beim Rausgehen sagt Esra sogar: »Hat Spaß gemacht heute.« Und ich muss zugeben: »Ja, mir auch.« Glücklich gehe ich in die Pause. Rauche und denke: Ich bin doch wirklich eine Superlehrerin. Bis Frau Schwalle kommt und mich mit Horrormeldungen über meine Klasse zutextet. Dieselben Kinder, die eben noch so übertrieben gut bei mir mitgearbeitet haben. Ich denke: Tja. Lächle sie an und sage irgendetwas, was ich gleich wieder vergesse, dann klingelt es zum Glück.
Freistunde. Lehrerzimmer. Höre mir diverses Gejammer an. Meckere ein wenig mit über die Bildungspolitik – eine sichere Art des Meckerns, denn sie tut keinem Anwesenden weh und man stärkt die Solidarität im Kollegium. Und die Chance ist recht gering, dass jemand es hört und sagt: »Frau Freitag, wenn Sie hier so schlau daherreden, dann kommen Sie jetzt gleich mal mit und verändern Sie das Bildungssystem, Sie scheinen ja ganz genau zu wissen, wie das geht.«
Innerlich erquicke ich mich noch immer am Ich-bin-Superlehrer-Gefühl.
Plötzlich ein Anflug von leichtem Kopfschmerz. Laune droht zu kippen. Es klingelt zum Unterricht. Kunst. Einige Schüler pünktlich, andere nicht. Innerlich steigt Wut auf: Warum kommen die kleinen Scheißer eigentlich jedes Mal zu spät? Jetzt holt der auch noch sein Trinken raus. Warum muss ich Harun eigentlich immer wieder sagen, dass er seine bescheuerte Baseballkappe absetzen soll. Die Mädchen checken das wohl auch nie, dass ich nicht möchte, dass ihre hässlichen Lederimitatbeutel, die sie Schultaschen nennen, auf den Tischen liegen. Jetzt holt sexy Susi auch noch ihren Lippenstift raus. Der neuste Trend ist momentan, großzügig Handcreme an alle Mitschüler zu verteilen. Das machen vor allem die Jungen, vielleicht weil sie sich nicht schminken können und auch irgendwas haben wollen, das den Unterricht stört. Ich denke: Nicht aufregen. Hinsetzen und warten. Ich bin doch der Frühling. Ich bin doch die aufgehende Morgensonne. Lächeln! Ich grinse gequält und sehe mich im Raum um – eine Mischung aus Kosmetiksalon und Restaurant. Außer mir ist kaum jemand daran interessiert, die bombenspitzenmäßige neue Aufgabe erklärt zu bekommen, die ich schon mal zur Motivation an die Tafel gehängt habe.
»Was ist, Frau Freitag, warum gucken Sie so schlecht gelaunt?«
Ich? Schlecht gelaunt – was soll das jetzt? Mein Kopf schmerzt immer mehr. An Anfangen ist gar nicht zu denken. Mützen, Taschen, Essen, Schminke und endloses Gequatsche. Ich hole tief Luft und erkläre, warum ich einen Anflug von schlechter Laune bekomme, bei dem Anblick, den die Schüler
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