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Chill mal, Frau Freitag

Titel: Chill mal, Frau Freitag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frau Freitag
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beantworte zwei, drei E-Mails und esse einen Apfel.
    Beim Meeting werden gesund belegte Brötchen gereicht, Mineralwasser und Saft in kleinen Flaschen stehen bereit. Wir besprechen das neue Deutschbuch. Klasse 5, 6, und 7 sind schon raus. Heute: Brainstorming für die Themen im Buch und das Arbeitsheft Klasse 8. Flip-Chart, Whiteboard, Beamer – name it, we have it! Aufgrund meiner langjährigen Schulerfahrung bin ich unter den Kollegen klar im Vorteil. Man hört genau zu, wenn ich etwas sage. Man fragt mich nach meiner Meinung – immer. Ich bin die Verbindung zwischen Verlag und Wirklichkeit. Niemand außer mir hat schon mal mit Jugendlichen gearbeitet.
    Der Chefredakteur sagt: »Okay, Leute, was haben wir? Wo wollen wir hin? 8. Klasse. Vierzehn, fünfzehn Jahre.« Kurze Pause. Blick in die Runde. Dann: »Frau Freitag, worum geht es in dem Alter? Ich dachte an Tier- und Umweltschutz.«
    Ich lehne mich zurück, schließe die Augen: »Tierschutz, Umweltschutz …« Ich tue so, als würde ich nachdenken, nehme mir eine Flasche Wasser und gieße sie in Zeitlupe ein. Dann springe ich plötzlich auf, bewege mich zielstrebig zum Beamer: »8. Klasse, wenn Sie nichts dagegen haben, zeige ich Ihnen etwas. Ich habe da eine Kleinigkeit vorbereitet.« Jemand macht das Licht aus und auf der Wand erscheint eine rote Fläche, dann ein riesiger Schriftzug: Der gemeine Achtklässler! Lady Gaga singt »Pokerface« und dann erscheinen Jugendliche auf einem Schulhof. Alleine, in Gruppen, gut gelaunt, im Streit, Mädchen, Jungen. Die Musik schafft die richtige Atmosphäre. Alles sehr MTV und trotzdem realistisch. Ich stelle mich neben den Beamer: »8. Klasse, das ist: Verliebtsein, der erste Kuss, Klamotten, Gewichtszunahme, Musik, Streit mit den Eltern, überhöhte Handyrechnungen, Absturz der Schulleistungen, Pickel, Streit mit den Freundinnen, Muskelaufbau bei den Jungen, Solarium, scheiß Eltern, scheiß Lehrer, scheiß Schule und keine Ahnung, was man später machen soll. Tierschutz? Umweltschutz? In der 8. Klasse geht es nur um die eigene Person!« Die letzten Worte lasse ich besonders dramatisch klingen.
    Tosender Beifall bricht aus. Der Chef springt auf und umarmt mich: »Frau Freitag, Sie haben uns mal wieder gerettet. Was würden wir ohne Sie machen?« Und zu den anderen: »Los, los, Leute, ihr habt gehört, was die Jugend bewegt! An die Arbeit, bis Donnerstag will ich erste Entwürfe sehen!«
    Zufrieden gehe ich in mein Büro und entwerfe ein Kapitel zum Thema Erörterung: Gangsta-Rap – okay oder nicht okay? Um 13.30 Uhr gehe ich in die Kantine und esse einen fettarmen Salat, scherze mit den Kollegen aus der Presseabteilung, lasse mir noch mal zu meiner Präsentation gratulieren und dümple dann noch bis um 17.30 Uhr in meinem Büro rum. Dann fahre ich direkt zum Yoga. Abends bin ich fürs Kino verabredet und sehe einen französischen Film in Schwarz-Weiß.
    Um Mitternacht komme ich leicht angetrunken und zufrieden in meine Wohnung, wo ich von zwei netten Katzen begrüßt werde. Glücklich schlafe ich nicht nur ein, sondern auch bis zum nächsten Morgen durch.
    Meinen Urlaub verlängere ich durch Überstunden und verbringe ihn auf traumhaften Inseln. Mein Leben könnte so schön einfach sein.
    Eine gar nicht so schlechte Idee kam heute von Abdul: »Frau Freitag, stimmt es, dass Lehrer mehr Geld verdienen, wenn sie viele Tadel geben?«
    »Häh? Wie kommst du denn darauf? Abdul, wenn das so wäre, dann hättest du jetzt schon mindestens drei. Einen fürs Zuspätkommen und zwei für diese bekloppte Frage.«
    Ein Teil meines Gehirns nimmt den Gedanken allerdings auf und erfreut sich an der Vorstellung, das Gehalt durch Ordnungsmaßnahmen aufzubessern. Kopfpauschalen aufs Vor-die-Tür-Schicken, für jedes Anschreien gibt es einen Zehner extra. Da klingelt die Kasse. Den fettesten Bonus erhält der Kollege, der es schafft, am Ende des Schuljahres möglichst viele Schüler von der Schule verwiesen zu haben. Jeden Nachmittag versammeln wir uns zu Klassenkonferenzen und haben Dollarzeichen in den Augen.
    »Los Leute, wer stimmt für die Versetzung in die parallele Kerngruppe? Ich will nächste Woche in den Skiurlaub, also jetzt mal die Finger hoch.«
    Dann wieder Unterricht: »Frau Freitag, Sie sind voll streng geworden. Früher haben Sie nie Tadel gegeben, jetzt immer. Aber Ihre Jacke ist schön. Neu? Echtes Leder?«
    »Samira! Reden, ohne dran zu sein: Tadel!«
    Ich muss schon zugeben, an diese Art der leistungsbezogenen

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