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Chocolat

Chocolat

Titel: Chocolat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
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Herrchens spiegeln sich Liebe, Besorgnis, Schuldgefühle. Niemand beachtet uns. Es ist, als wären wir unsichtbar; an unserer Kleidung kann man uns als Fremde, als Durchreisende erkennen. Die Leute sind höflich, ausnehmend höflich; niemand starrt uns an. Die Frau mit den langen Haaren, die sie unter ihre orangefarbene Jacke gesteckt hat, einen langen, bunten Seidenschal um den Hals; das Kind in den gelben Gummistiefeln und dem himmelblauen Regenmantel. Durch ihre Farben fallen sie auf. Ihre Kleider sind exotisch, ihre Gesichter – sind sie zu blaß oder zu dunkel? –, ihre Haare verraten sie als Fremde, als auf undefinierbare Weise anders. Die Menschen von Lansquenet beherrschen die Kunst der verstohlenen Beobachtung. Ich spüre ihre Blicke wie Atem in meinem Nacken, nicht feindselig, aber dennoch kalt. Für sie sind wir eine Attraktion, ein Teil des Karnevals, befremdlich. Ich spüre, wie ihre Blicke uns folgen, als ich an einen der Stände trete, um eine galette zu kaufen. Das Papier ist heiß undfettig, die dunkelbraune Waffel außen knusprig und innen weich und köstlich. Ich breche ein Stück ab und reiche es Anouk, wische ihr die geschmolzene Butter vom Kinn. Der Waffelverkäufer ist ein korpulenter Mann mit Halbglatze und dicken Brillengläsern, sein Gesicht vom Dampf der Waffeleisen feucht und gerötet. Er zwinkert Anouk freundlich zu. Mit dem anderen Auge registriert er jede Einzelheit, wohl wissend, daß man ihn später nach uns ausfragen wird.
    »Machen Sie Urlaub, Madame?« Die Dorfetikette gestattet ihm, das zu fragen; hinter der neutralen Maske des Geschäftsmannes spüre ich seinen großen Wissensdurst. Wissen ist Gold wert, hier im Dorf; Touristen fahren gewöhnlich in die nahe gelegenen Orte Agen und Montauban und verirren sich nur selten hierher.
    »Ja.«
    »Sie kommen aus Paris?« Es muß an unserer Kleidung liegen. In diesem farbenfrohen Landstrich tragen die Menschen düstere Farben. Farbe ist Luxus; Buntes ist nicht kleidsam. Die bunten Blumen am Straßenrand sind Unkraut, lästig, unnütz.
    »Nein, nein, nicht aus Paris.«
    Der Wagen ist fast am Ende der Straße angekommen. Hinter ihm marschiert eine kleine Kapelle – zwei Querpfeifer, zwei Trompeter, ein Posaunist und ein Trommler, die einen undefinierbaren Marsch spielen. Ein Dutzend Kinder folgen ihnen und sammeln die liegengebliebenen Süßigkeiten auf. Einige von ihnen sind verkleidet; ich entdecke ein Rotkäppchen und ein Kind in einem zotteligen Kostüm, das vielleicht einen Wolf darstellen soll, die sich übermütig um eine Handvoll Luftschlangen streiten.
    Eine in Schwarz gekleidete Gestalt bildet das Schlußlicht. Zunächst halte ich ihn für einen Teil des Umzugs – den Pestarzt vielleicht –, doch als er näher kommt, erkenne ich die altmodische Soutane des Landpriesters. Er ist etwa Mitte Dreißig, wirkt allerdings von weitem durch seinen steifen Gang älter. Er schaut mich an, und ich sehe, daß auch erein Fremder ist, ein Mann aus dem Norden mit hohen Wangenknochen und blassen Augen. Seine schmale Pianistenhand liegt auf dem silbernen Kreuz, das an einer Kette um seinen Hals hängt. Vielleicht gibt sein Status als Fremder ihm das Recht, mich anzustarren; doch ich sehe kein Wohlwollen in seinen kalten Augen. Nur den verstohlen abschätzenden Blick eines Menschen, der sich seines Territoriums nicht sicher ist. Ich lächle ihm zu; er wendet sich erschrocken ab, winkt zwei Kinder zu sich. Mit einer beredten Geste verweist er auf den Abfall, der sich mittlerweile am Straßenrand gesammelt hat; widerwillig beginnen die beiden Kinder, die Luftschlangen und Bonbonpapiere einzusammeln und in einen in der Nähe stehenden Mülleimer zu stopfen. Im Weggehen bemerke ich, wie der Priester mich erneut anstarrt, mit einem Blick, den man bei einem anderen Mann als Zeichen von Bewunderung hätte auslegen können.
    In Lansquenet-sous-Tannes gibt es keine Polizeistation, und daher auch keine Kriminalität. Ich versuche, es Anouk gleichzutun und die Wahrheit unter der Verkleidung zu erkennen, doch vorerst bleibt alles verschwommen.
    »Bleiben wir hier? Bleiben wir, Maman?« Sie zupft ungeduldig an meinem Ärmel. »Mir gefällt es hier. Bleiben wir?«
    Ich nehme sie auf den Arm und küsse sie auf die Stirn. Sie riecht nach Rauch und gebackenen Pfannkuchen und warmer Bettwäsche an einem Wintermorgen.
    Warum nicht? Dieses Dorf ist so gut wie jedes andere.
    »Ja, natürlich«, sage ich, meinen Mund in ihren Haaren. »Natürlich bleiben

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