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Choral des Todes

Titel: Choral des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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ist ja Ihre Geschichte von dem Polizisten, der sich in die Kolonie hineingeschlichen hat, die Gelegenheit, auf die ich so lange gewartet habe.«
    Rochas entfaltete eine Karte der Region auf dem Tisch.
    Kasdan stellte sein Glas ab und beugte sich darüber.
    Die Eroberung Trojas begann.

KAPITEL 78
    Als Volokine aufwachte, nahm er als Erstes den Gesang wahr. Fern und vage zugleich. Er sagte sich: Jetzt ist es so weit. Ich befinde mich im Herzen der Hölle. Dann bemerkte er, dass es sich nicht um das Miserere handelte. Ihm wurde bewusst, dass er sich nicht bewegen konnte. Er war nicht gefesselt, doch er konnte seine Glieder nicht mehr willkürlich steuern.
    Der Gesang hielt an.
    Unnachahmlicher Wohlklang eines Chors, eine Reinheit, die der Materialität der Instrumente entrückt schien. Volo dachte an das Deutsche Requiem von Brahms, eines der geheimnisvollsten Werke, die je geschrieben wurden. Aber nein, das war nicht das Requiem.
    Volokine blendete diese hypnotische Musik aus und betrachtete seine unmittelbare Umgebung. Er lag nackt auf einem mit Zellstoff überzogenen Metalltisch, dessen Kälte er an seinen Schultern spürte. Seine Brust hob und senkte sich unter einer langen Lage Papier. Eine OP -Lampe war auf sein Gesicht gerichtet. Er erinnerte sich, dass diese Art Lampe keine Schatten erzeugte, und diese Vorstellung flößte ihm Angst ein. Keine Möglichkeit, sich zu verstecken. Total entblößt. Total verletzlich.
    Die Musik drängte sich in seinem Bewusstsein wieder in den Vordergrund. Die Wellen flossen weiter, lieblich, zart, aus Knabenstimmen gewebt. Mit Verspätung stellte Volokine fest, dass er nicht mehr an seiner chronischen Allergie gegen Chöre litt. Er war geheilt – aber es war zu spät. Er lag auf seinem Sterbebett.
    In einer übermenschlichen Anstrengung gelang es ihm, den Kopf ganz leicht anzuheben. Am Ende des OP -Tischs stand ein weiterer Tisch. Ein Bistrotisch, auf dem eine grüne Decke lag und der von einer anderen Lampe beleuchtet wurde.
    Daran saßen drei Kartenspieler.
    Alle trugen OP -Masken und blassgrüne Kittel.
    Verwirrung der Gedanken. Schubweise Panik. Offenbar warteten die Chirurgen nur darauf, dass er erwachte. Dass er bei Bewusstsein wäre und sie ihn ohne Betäubung operieren konnten. Ihm wehtun konnten.
    In diesem Moment blickte einer der Männer über seine Spielkarten hinweg. Er beobachtete Volokine. Unter den OP -Hauben der Kartenspieler lugten graue Haare hervor. Drei alte Männer. Drei Chirurgen. Pervers und verrückt.
    Der Arzt murmelte mit einer Stimme, in der sich deutscher und spanischer Akzent mischten:
    »Unser Freund wacht auf.«
    Volokine ließ seinen Kopf zurückfallen. Das Licht. Die Musik. Die Hitze der Lampe. Die Kälte des Metalls. Ein Albtraum. Er würde von drei Nazi-Chirurgen, die ihren südamerikanischen Gräbern entstiegen waren, zerfleischt werden. Und der Chorgesang wurde immer lauter. Er schien von überallher zu kommen. Nur Klangteppiche, die einen trugen wie die sanfte Dünung eines warmen Meeres.
    Das Rücken von Stühlen.
    Volokine klammerte sich an die kleinsten Details.
    Einer der Männer war aufgestanden.
    Rascheln von Papier.
    Das reibende Geräusch von Schuhschonern.
    Ein maskiertes Gesicht tauchte in seinem Gesichtsfeld auf. Falten um die Augen. Gegerbte graue Haut. Dieser Arzt konnte nicht zu Staub werden, er war bereits Staub. Volokine dachte an Marko, den Sandman , der gegen Spiderman kämpft.
    » Der Pilgerchor aus dem Tannhäuser …«, flüsterte der Mann. »Wurde jemals etwas Schöneres geschrieben?«
    Er schlug langsam mit einem funkelnden Skalpell vor der Nase Volokines den Takt. Er summte Silben auf Deutsch. Volo konnte es nicht glauben. Er befand sich mitten in einem schrecklichen Albtraum. Diese legendäre und entsetzliche Verbindung zwischen der Grausamkeit der Nazis und der deutschen Musik.
    »Beglückt darf nun dich, o Heimat, ich schauen, und grüßen froh deine lieblichen Auen …« , sang der alte Mann mit seiner heiseren Stimme. »Verstehst du das?«
    Volokine antwortete nicht. Er hatte das Gefühl, dass seine Zunge stark angeschwollen und trocken wie Sand war. Er begriff, dass man ihm ein Narkosemittel oder ein andere lähmende Substanz verabreicht hatte. Er würde hier unter den Händen perverser Mediziner sterben. Aber vielleicht würde man ihm das Leiden ersparen …
    »Worte von unendlicher Traurigkeit …«, flüsterte der Chirurg. … Worte, die zu uns, den ewig Heimatlosen, sprechen …«
    Volokine bemerkte, dass es

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