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Choral des Todes

Titel: Choral des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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schneller als wir. Wir waren sicher, dass du zurückkehren würdest, um ihn auszuquetschen. Wir mussten jedes Risiko ausschalten.«
    »Die Verstümmelungen, die Verse aus dem Requiem: Wozu?«
    »Reine Folklore. Ich hoffte, euch auf die Spur eines religiösen Serienmörders zu setzen. Es erschien mir als eine passende Ironie, das Miserere zu verwenden. Dieser Gesang steht im Zentrum unserer Forschungen. Wir benutzen ihn, um die Reinheit des Stimmumfangs zu überprüfen.«
    »Wie konnten die Knaben das tun?«
    »Konditionierung. Indoktrinierung. Drogen. Das ist nicht so schwierig. Die Geschichte kennt zahllose Beispiele für Kindersoldaten und mordende Kinder. Es ist uns gelungen, reine Geschöpfe des Bösen hervorzubringen. Es ist uns gelungen, diesen Geschöpfen jegliches Gefühl, jegliche Spur von Menschlichkeit, die sie pervertieren könnte, auszutreiben.«
    Volokine spürte, dass ihm das entscheidende Mosaiksteinchen fehlte.
    Der Grund, warum sich das alles gerade jetzt ereignet hatte.
    »Götz arbeitete seit dreißig Jahren für euch. Er war an Kindesentführungen und Folterungen beteiligt und hat Chöre geleitet. Weshalb diese plötzliche Gewissensnot? Weshalb hätte er ausgerechnet mit vierundsechzig Jahren reden sollen?«
    »Er war der Meinung, dass unsere Forschungen zu gefährlich werden.«
    »Wieso?«
    Hartmann lächelte, und diesmal fuhr Volokine die Angst in die Knochen.
    »Errätst du es nicht? Wir haben es endlich geschafft. Wir verfügen über den Schrei.«
    »Das ist nicht möglich …«
    »Sechzig Jahre Forschungen und Opfer haben endlich das erwartete Ergebnis gezeitigt. Wir haben bewiesen, dass mein Vater das richtige Gespür besaß. Um die Wahrheit zu sagen, sind wir noch ganz am Anfang. Ein einziges Kind beherrscht die Technik. Aber dank dieses Beispiels werden wir die Methode weiterentwickeln können.«
    Volokine dachte an diesen Kind-Gott, der durch seinen Schrei töten konnte. An die maskierten Jungen, die ihn angegriffen hatten.
    »Wollt ihr mich auf diese Weise umbringen?«
    Hartmann näherte sich und legte langsam die Hände zusammen.
    »Nein. Wir nehmen das nicht persönlich, Cédric. Wir betrachten dich nicht einmal als einen Verräter. Aber du bist ein Polizist. Und Polizisten verdienen eine Sonderbehandlung.«
    Eine trockene Kehle.
    Während sein Hals, ihre Außenseite, schweißbedeckt war.
    »Eine Sonderbehandlung?«
    Hartmann gab mit dem Kopf ein Zeichen. Seine Schergen packten Volokine. Er verlor den Boden unter den Füßen. Er hatte das Gefühl, in sich selbst zu fallen. Einer der Männer hielt eine kleine Spritze in der Hand.
    »Ich vertraue dich unseren Ärzten an. Du wirst sehen, sie haben sehr raffinierte Behandlungsverfahren entwickelt.«
    Volokine schrie. Aber der Schrei blieb ihm im Hals stecken. Mit etwas Glück blieben seine Stimmbänder bis zum Schluss blockiert.
    Er würde lautlos sterben.

KAPITEL 77
    Arro, sechs Uhr morgens.
    Kasdan entdeckte das größte Haus des Dorfes.
    Er parkte seinen Kombi. Sprang heraus und klopfte an die Tür.
    Der Tag war noch nicht angebrochen. Die Nacht umhüllte die Steine wie ein Grab die Überreste eines Toten. Im Licht seiner Scheinwerfer hatte Kasdan schreckenerregende Landschaften gesehen. Kiesebenen. Mit kurzem Gras bewachsene Steilhänge. Eine Vision aus der Urzeit, als es noch keine Menschen, keine Zivilisationen gab. Eine Landschaft, in der Felder Steppen sind, Säulen steinerne Stelen. Staubige Wege. Eine Landschaft, die den Geschmack nach Feuerstein im Mund zurücklässt.
    Kasdan lächelte. Er war hellwach. Jetzt schien sich alles zuzuspitzen. Der Moment der Konfrontation, der Rache war gekommen.
    Er klopfte ein weiteres Mal.
    Keine Antwort.
    Die Hälfte der Hütten war zerfallen. Auch die anderen, die renoviert worden waren, wirkten baufällig. Doch Kasdan hatte den Eindruck, sich in der Zeit vorzuarbeiten. Nach der Vorgeschichte kam jetzt das Mittelalter.
    Er klopfte stärker.
    Endlich Geräusche im Innern.
    Ein junger Mann öffnete. Eine Waffe in der Hand. Der Klan von Arro war im Krieg. Eine Art Krieg der Klans wie in der Frühzeit, als man einander wegen einer Wasserstelle oder einer Handvoll Glut umbrachte.
    »Ich muss mit Rochas reden.«
    Der junge Typ mit den athletischen Schultern hatte glattes blondes Haar und trug ein Ensemble aus türkisblauem Fleece. Er glich einem Bergsteiger in seinem Basislager, bereit, den K2 in Angriff zu nehmen. Wortlos warf er einen Blick auf seine Uhr.
    »Er ist um diese Uhrzeit bestimmt

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