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Christianisierung und Reichsbildungen - Europa 700 - 1200

Christianisierung und Reichsbildungen - Europa 700 - 1200

Titel: Christianisierung und Reichsbildungen - Europa 700 - 1200 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Francia aus ihren Siegeszug antrat und zur Grundlage aller seitherigen Entwicklung der lateinischen Schrift geworden ist. In solchen Lettern sind nicht zuletzt die wenigen kostbaren Zeugnisse niedergeschrieben, die erkennen lassen, daß Karls Belebung der Schriftkultur über die Geistlichkeit hinaus auch das christliche Bekenntnis der lateinunkundigen Laienwelt zu prägen suchte und sich daher ansatzweise sogar auf die noch unschriftliche Volkssprache übertrug: das altsächsische Taufgelöbnis, das althochdeutsche Vaterunseroder die ersten Versuche der Bibelübersetzung, die noch der Zeit Karls angehören.
    Unter seinem Sohn Ludwig, in dessen Umgebung nur noch einzelne Iren bezeugt sind, nahm die zentrale Bedeutung der Hofschule insgesamt ab zugunsten der Ausstrahlung von inzwischen aufgeblühten klösterlichen Bildungsstätten, aus denen Tours, Corbie, Fulda, Ferrières, St. Gallen oder Reichenau hervorragten. Postulate der Bildungserneuerung spielten in Ludwigs Kapitularien keine mit Karl vergleichbare Rolle, weshalb sich in einem Synodaltext von 829 sogar die ausdrückliche Mahnung findet, in der Sorge um die
scholae publicae
nicht nachzulassen, weil aus ihnen großer Gewinn für die Kirche ebenso wie für den Kaiser selbst erwachse[ 39 ]. Dessenungeachtet ist klar zu erkennen, daß die von Karl und seinen Hofgelehrten angestoßene Entwicklung zu einem höheren kulturellen Niveau, die ihrer Natur nach Zeit zum Reifen brauchte, nach 814 weiter an Dynamik gewonnen hat. Dafür spricht die gesteigerte Produktion von Schriftstücken in zunehmend «besserem» Latein durch Ludwigs Hof selber, aber auch der allgemeine Zuwachs an tätigen Scriptorien und daraus hervorgegangenen Handschriften, die in Tausenden noch heute erhaltenen Exemplaren von geduldigem Eifer in der Aneignung von Theologie, Dichtung und profanem Wissen zeugen. Aus diesem Fundus erwuchs eine beachtliche Zahl literarischer Werke von meist kompilatorischem Zuschnitt, die den Nerv der Zeit trafen, indem sie es sich zur Aufgabe machten, den überkommenen Wissensstoff zu bündeln und didaktisch aufzubereiten. Ihren Höhepunkt erreichte die karolingische Kulturblüte bald nach der Mitte des 9. Jhs. in Westfranken mehr noch als in Ostfranken, wo damals indes die ersten größeren Werke in deutscher Sprache entstanden (Hildebrandslied, Heliand, Otfrids Evangeliendichtung). Erst die wachsende Beeinträchtigung des kirchlichen Lebens und der politischen Ordnung durch die Normannen- und die Ungarneinfälle setzten der Entwicklung um die Wende zum 10. Jh. ein Ende, doch war bis dahin soviel an schriftlicher Überlieferung aufgehäuft worden, daß alle nachfolgenden Jahrhunderte davon zehren konnten.
4. Zwei Kaiser in der Christenheit
Byzanz und der Westen im 8. Jh.
    Die oströmischen Kaiser am Bosporus (mit dem griechischen Titel Basileus) betrachteten sich zu Recht als die einzig verbliebenen Nachfolger der antiken Caesaren und vermißten das westliche Imperium nicht, das 476 sein Ende gefunden hatte. Jenseits der aktuellen Reichsgrenzen galten ihnen alle Herrscher, ob getauft oder nicht, als Barbaren, die allenfalls auf Zeit geduldet wurden, aber eigentlich gehalten waren, sich der kaiserlichen Majestät unterzuordnen. Deren Machtanspruch erstreckte sich theoretisch auf das gesamte Römerreich der Antike und zudem auf die seit der Konstantinischen Wende entstandene Reichskirche, die den Kaiser zur zentralen Instanz der Christenheit hatte werden lassen. Deshalb war es wichtig, daß sein langer Arm über Konstantinopel und die griechische Kirche hinaus auch in den lateinischen Westen reichte, wo seit dem 6. Jh. die historische Reichshauptstadt Rom sowie Ravenna, die letzte Kaiserresidenz des Okzidents, zusammen mit weiteren Teilen Italiens unter byzantinischer Hoheit standen. Noch 710 erschien auf kaiserliche Einladung Papst Konstantin I. (708–715) als letzter römischer Bischof vor dem 20. Jh. in Konstantinopel und Nikomedia.
    Die historisch begründete Selbsteinschätzung der Kaiser und die realen Machtverhältnisse klafften indes weit auseinander. Nach den dramatischen Verlusten, die das Imperium im 7. Jh. auf dem Balkan (durch Awaren, Slawen und Bulgaren) und im Orient (durch die Araber) hatte hinnehmen müssen, holte das Kalifenreich zu einer weiteren Angriffswelle aus, die nach der Eroberung Karthagos (698) und des gesamten lateinischen Nordafrika bald abermals auf Konstantinopel abzielte und die Byzantiner in einer Phase schwerer innerer Turbulenzen

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