Christianisierung und Reichsbildungen - Europa 700 - 1200
und Umgebung) 754/56 nicht an den Vorbesitzer, den im Glauben entzweiten Kaiser in Byzanz, zurückzugeben, sondern – wie zuvor versprochen – dem Papst in Rom zukommen zu lassen,der damit seinen Kirchenstaat, die
res publica Romanorum
, fundierte. Doch dauerte es eine ganze Weile, bis sich die Vorstellung durchsetzte, daß Rom aus dem Römischen Reich ausscheiden könne. Zwar hatte schon Zacharias kein Antrittsschreiben mehr nach Konstantinopel gesandt, aber auch unter Stephan II. wurden in Rom noch Münzen mit dem Bild des Kaisers geprägt, und die Datierung päpstlicher Schriftstücke nach dem regierenden Basileus wurde erst unter Hadrian I. (772–795) aufgegeben. Gleichzeitig taucht 778 erstmals in einem Papstschreiben der Hinweis auf den großen Kaiser Konstantin auf, der der römischen Kirche «die Gewalt über diese westlichen (
Hesperiae
) Lande geschenkt» habe[ 42 ], womit die Konstantinische Schenkung gemeint sein dürfte, die als ausformulierte Fälschung erst seit dem 9. Jh. überliefert ist, aber offenbar zur historischen Legitimation der neuartigen päpstlichen Unabhängigkeit nach dem Umbruch von 754/56 gedacht war. Sie wollte den realen Zustand erklären, daß die Päpste ohne übergeordneten Kaiser waren, dessen Macht im Westen auf Sizilien und den äußersten Süden der Apenninenhalbinsel sowie auf eine eher nominelle Hoheit über Venetien und Istrien, Neapel und weitere kampanische Küstenstädte geschrumpft war.
Der Weg zum Kaisertum des Westens
Die Kaiserkrönung des Frankenkönigs Karl, der seit 774 auch König der Langobarden war und sich «Patricius der Römer» nannte, wäre nicht denkbar geworden ohne die Abkehr Roms und Italiens vom östlichen Imperium, die sich lange angebahnt und im Laufe des 8. Jhs. vollzogen hatte. Zugleich erscheint das Geschehen am Weihnachtstag 800 als Kulminationspunkt des schier unaufhaltsamen Aufstiegs, den die Karolinger bis dahin genommen hatten. Gleichwohl sollte man sich hüten, in der Rückschau auf dem Weg zu dem neuen Kaisertum allzu viel Voraussicht und Bedachtsamkeit zu unterstellen. Daß aus den Jahren vor 800 keine hinreichend deutlichen Zeugnisse für eine solche Zielsetzung vorliegen, ist so erstaunlich nicht. Karl war mit Stolz König der Franken, des mächtigsten aller Völker, weit überlegen den Römern, gar den Griechen,von denen seit langem keine militärischen Glanztaten zu vernehmen waren. Bedurfte er, der sich zum Herrn über viele Völker gemacht hatte, darüber hinaus einer Kaiserwürde, die seit Jahrhunderten fernab in Konstantinopel weitergegeben wurde und immer wieder wie noch jüngst in die Hände von Widersachern des rechten Glaubens geraten war? Und in welcher Form hätte eine Wiederbelebung des längst erloschenen weströmischen Kaisertums – gleich ob im Einvernehmen oder im Widerstreit mit Byzanz – erfolgen sollen, da es doch weit und breit kein römisches Reichsheer gab, um einen Kaiser auszurufen?
Karl, der natürlich wußte, daß es zu Zeiten seines Vaters Pippin in Italien eine erste Konfrontation mit Ostrom um die verweigerte Rückgabe des Exarchats gegeben hatte, daß später eine Gesandtschaft von dort vergebens seine Schwester Gisela als Braut für den Kaisersohn Leon (IV., 775–780) erbeten hatte und 767 in Gentilly (bei Paris) ein Streitgespräch mit griechischen Theologen über den Bilderkult geführt worden war, ist selber erst relativ spät mit Byzanz in Berührung gekommen. 781 empfing er bei seinem zweiten Rombesuch Abgesandte der Kaiserin Eirene († 803), die nach dem frühen Tod ihres Gatten Leon IV. die Regentschaft für den minderjährigen Kaiser Konstantin VI. (780–797) führte und wohl zur allseitigen Absicherung ihres nicht unumstrittenen Regiments ein Bündnis anbot. Karl willigte in die Verlobung seiner im Kindesalter stehenden Tochter Rotrud mit dem jungen Kaiser ein, doch als sechs Jahre später beim nächsten Italienzug die Übergabe des Mädchens (das man inzwischen Griechisch hatte lernen lassen) anstand, kam sie nicht zustande, weil Eirene Karls bewaffnetes Vordringen nach Unteritalien übelnahm und Karl darüber verstimmt war, daß die Kaiserin das «ökumenische», also die ganze Christenheit betreffende Konzil in Nikaia, auf dem 787 die Verehrung der Bilder restituiert wurde, zwar mit Beteiligung zweier päpstlicher Legaten, aber ohne jeden fränkischen Bischof abgehalten hatte.
Seither war Karl im Verhältnis zu Byzanz bestrebt, vor allem theologisch aufzutrumpfen. Als ihm nach
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