Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition)
Feueropal.«
»Aber den habe ich längst!« Hämisch schwang er den Beutel an seinem Hals.
Ein Blitz aus schwarzen Federn schoss aus dem Himmel, und Rek versuchte, den Beutel zu packen, aber Thiazzi schlug sie mit einer wütenden Armbewegung beiseite.
Das Lachen erstarb auf seinen Lippen, als ein Schatten über ihn glitt. Die Adlereule kam auf leisen Schwingen dahergesegelt, streckte die Krallen aus und riss ihm den Beutel aus der Hand. Der Schamane heulte vor Zorn laut auf, wollte sie aus der Luft holen, aber sie war längst auf und davon, unterwegs zu den Hohen Bergen.
Thiazzis Heulen verwandelte sich in ein Kreischen, denn inzwischen hatte das Feuer Nahrung gefunden, und es war sehr hungrig. Es krallte sich in seine Mähne, seinen Bart, seine Kleider, er fing an zu wackeln, zu taumeln, verlor das Gleichgewicht – und stürzte hinab.
Von hoch oben in der Eiche sah Torak den Seelenesser leblos auf den Wurzeln liegen. Er sah, wie mehrere Jäger des tiefen Waldes plötzlich hinter den Stechpalmen hervorkamen, den Dornenkreis durchbrachen und den Leichnam umringten. Dann rissen die Wolken auf und Regen prasselte herab, erstickte die Flammen und ließ dichte Wolken bitteren Rauchs aufsteigen; der Wald stieß einen gewaltigen, bebenden Seufzer aus, nachdem er sich selbst von dem Übel gereinigt hatte, das sein grünes Herz bedrohte.
Torak bemerkte den Regen kaum, der ihm beim Abstieg aus der Baumkrone über das Gesicht strömte. Er zitterte vor Müdigkeit, kam sich aber trotzdem eigenartig betäubt vor. Nicht einmal die Wunde in seinem Bein spürte er.
Er sprang auf den Waldboden und torkelte zu Renn hinüber, die neben den Resten des Feuers zusammengesunken auf dem Boden saß. Er kniete sich neben sie und nahm sie an den Schultern. »Bist du verletzt? Hat er dir etwas getan?«
Sie schüttelte den Kopf, war aber weiß wie Knochen, und ihre Augen waren von einer Dunkelheit überschattet, die Thiazzi geschaffen hatte. Sie öffnete den Mund, wollte etwas sagen, aber dann zuckte etwas in ihrem Gesicht und sie drehte sich von ihm weg. Ihr zarter Nacken sah wehrlos aus. Er legte die Arme um sie und zog sie an sich.
Als sie so aneinandergeschmiegt dasaßen, fing das Medizinhorn an seiner Hüfte zu summen an. Er hob den Kopf und sah Wolf zwischen der Großen Eibe und der Großen Eiche stehen. Seine Augen leuchteten mit dem bernsteinfarbenen Licht des Wächters. Pass auf, teilte er Torak mit. Es kommt …
Aus dem Nichts fegte ein heftiger Wind durch den Heiligen Hain, peitschte die Zweige, verursachte aber kein Geräusch. Die Sonne zerriss die Wolken, und die großen Bäume flammten so grün auf, dass es wehtat, sie anzusehen, aber Torak konnte den Blick nicht abwenden. Das Summen des Horns war tief in ihm, fuhr ihm durch sämtliche Knochen. Die Welt zersplitterte und brach auseinander. Er hörte weder das Knistern der Glut noch das Rauschen des Regens. Er roch weder den Rauch, noch spürte er Renn in seinen Armen.
Im wehenden Dunst zwischen der Eiche und der Eibe stand ein großer Mann. Sein dunkles Gesicht war vor dem strahlenden Himmel kaum zu erkennen, sein langes Haar wehte im stimmlosen Wind. Aus seinem Kopf wuchs das Geweih eines Hirsches.
Torak schrie auf und bedeckte die Augen mit der Hand.
Als er es wagte, wieder hinzuschauen, war die Vision verschwunden. Er sah nur noch Wolf, seinen Rudelgefährten, der mit dem Schwanz wedelte und mit großen Sätzen durch den Regen auf ihn zugerannt kam.
Kapitel 38
Als Torak erwachte, wusste er nicht, wo er war.
Er lag unter einem Umhang aus warmem Hasenfell. Grünes Sonnenlicht drang durch ein Dach aus Fichtenzweigen. Es roch nach Rauch und die Geräusche eines Lagers drangen an sein Ohr: das Knacken eines Feuers, das leise Schaben eines Messers, das von jemandem geschärft wurde.
Plötzlich war alles wieder da: wie er mit Renn in dem Heiligen Hain kniet, wie die Clans des Großen Waldes sich um sie drängen, wie jemand ihm sein Messer in die Hand legt. Der Weg zum Lager, erst zu Fuß und dann in einem Einbaum. Eine Frau, die die Wunde in seinem Bein vernäht, eine andere, die einen Breiumschlag um Renns Knie wickelt. Ein mit Honig gesüßter Trank, der ihn schläfrig macht, und dann – nichts mehr.
Er machte die Augen wieder zu und zog sich zu einer Kugel zusammen. Ein leiser Schmerz brannte in seiner Brust, als versuchte etwas, nach draußen zu gelangen. Das quälende, bohrende Gefühl einer Vorahnung. Thiazzi war tot. Aber jetzt hatte Eostra den Feueropal.
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