Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition)
damit beschäftigt, die Leiter wegzudrücken, während Thiazzi, der immer noch darauf stand, sich sowohl an der Leiter als auch am Baum festhielt.
Diesen Kampf konnte Torak nicht gewinnen. Renn sah hilflos dabei zu, wie Thiazzi sich auf einen Ast hievte und um den Baumstamm herumgriff. Torak duckte sich – und erblickte in diesem Augenblick Renn.
Seine Lippen formten ihren Namen, während er ihre missliche Lage erkannte: gefangen auf dem Baum, ohne hinunterzukönnen. Thiazzi kam nun von der anderen Seite, um ihn zu packen. Torak wich ihm aus, ergriff die Leiter und zog daran. Renn sah, wie der Kiefernstamm zu ihr herüberkippte und gegen die Eibe knallte, ungefähr auf halber Höhe. Torak hatte ihr einen Weg nach unten verschafft.
Es hätte ihn beinahe das Leben gekostet. Als er gerade nach dem nächsten Ast griff, stürzte sich Thiazzi auf ihn. Torak schwang sich einen Moment zu spät aus dem Weg, sodass Thiazzis Klinge ihn am Oberschenkel erwischte. Knurrend vor Wut, trat er auf Thiazzis Handgelenk, worauf dieser das Messer fallen ließ.
Ein fruchtloser Sieg. Renn konnte deutlich sehen, dass er keine Chance hatte. Der Seelenesser brauchte keine Waffen. Er würde einfach bis zum obersten Ast hinter Torak herklettern und dann …
Sie riss sich von dem Anblick los. Von hier aus konnte sie ihm nicht helfen, zuerst musste sie nach unten.
Die Kiefernleiter war so weit entfernt, dass sie ein Stück springen musste. Sie drehte sich um, ließ sich so weit an der Rindenkante hinab, bis sie nur noch an den Händen hing, und ließ los. Die Kiefer zitterte, als sie mit dem guten Fuß aufkam, hielt aber. Um die Kerben machte sie sich keine Gedanken, sie rutschte einfach hinunter, riss sich die Hände noch mehr auf und landete mit einem jäh aufflammenden Schmerz auf dem verletzten Knie. Als sie sich umdrehte, war Torak verschwunden.
Nein – dort war er, klammerte sich an den nach oben immer dünner werdenden Eichenstamm. Der Seelenesser arbeitete sich stetig näher heran. Renn sah, wie Thiazzi sich nach Toraks Bein streckte. Er verfehlte es um die Breite eines Fingers. Torak war schon fast in der Baumkrone, dort, wo der Baum sich ein letztes Mal verzweigte. Renn sah seine sich dunkel vor dem stürmischen Himmel abhebende Silhouette; sie sah, wie er den Kopf drehte und überlegte, was er tun sollte. Sie stellte sich vor, wie der Eichenschamane ihn am Fuß packte und nach unten ins Verderben schleuderte.
Sie biss die Zähne zusammen und kroch, das verletzte Bein nachziehend, aufs Feuer zu. Dort schnappte sie sich einen knorrigen, wild lodernden Kiefernast voller Baumblut und kroch sodann hinüber zu der Eiche.
»Torak!« Ihre Stimme war kaum mehr als ein dünnes Krächzen. »Torak!«, schrie sie. » Fang! «
Sein Kopf fuhr herum.
Renn kniete sich auf ihr gutes Bein, holte mit dem Arm aus und zielte. Es musste der beste Wurf ihres Lebens werden.
Der brennende Ast wirbelte funkensprühend durch die Luft – und Torak fing ihn auf.
Sich mit der freien Hand festhaltend, schlug er damit auf Thiazzi ein. Der Seelenesser zog sich hinter den Eichenstamm zurück, streckte den Arm auf der anderen Seite heraus und hätte Toraks Fuß erwischt, wenn sich die Kette seines Clantotems nicht an einem Zweig verfangen und ihn zurückgehalten hätte. Thiazzi riss sie ab, ließ Eicheln und Misteln zu Boden regnen, hielt jedoch den Beutel mit dem Feueropal an seiner Brust fest.
Das verschaffte Torak die Gelegenheit, höher zu steigen. Er war jetzt in der Baumkrone und schob sich auf den kräftigsten Ast hinaus, der sich trotzdem unter seinem Gewicht senkte. Wieder schlug er mit dem Scheit nach Thiazzi. Der Eichenschamane wehrte ihn mit einem Faustschlag seinerseits ab, der Torak beinahe das Handgelenk gebrochen hätte und das Scheit in hohem Bogen davonfliegen ließ. Die Zeit blieb stehen, als Torak zusah, wie seine letzte Chance in einem Funkenregen auf dem Waldboden aufprallte.
Thiazzi jubelte. » Ich bin der Herrscher! «, brüllte er.
Aber noch während er seinen Triumph kundtat, blies der Atem des Waldes einen Funken in sein struppiges Haar. Torak sah, wie er sich dort einnistete. Der Eichenschamane nicht.
Verzweifelt versuchte Torak, ihn abzulenken. »Du wirst niemals der Herrscher sein«, spottete er. »Selbst wenn du mich tötest, wirst du niemals das bekommen, was du haben willst!«
»Was soll das sein?«, höhnte der Eichenschamane und schob sich näher herauf.
»Das, weswegen du meinen Blutsbruder ermordet hast: den
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