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Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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Köcher und den Bogen von der Schulter und warf sie über die Dornenhecke. Die Axt folgte. Zuletzt hielt er das blaue Schiefermesser, das einmal seinem Vater gehört hatte, in der Hand und warf es hinterher.
    Ohne Waffen stand er dem Seelenesser auf der anderen Seite der schimmernden Hitze gegenüber. »Ich entsage meiner Rache«, sagte er. »Ich breche meinen Schwur. Nimm mich. Lass sie am Leben.«

Kapitel 36

    »Lass sie am Leben«, wiederholte Torak, aber seine Stimme hatte sich zu einem flehenden Flüstern verwandelt. Ein schrecklicher Gedanke befiel ihn. Vielleicht war Renn längst tot.
    Thiazzi las in seinem Gesicht und zog verächtlich die Oberlippe zurück. »Es ist alles umsonst, Schwurbrecher. Du wirst das Mädchen nie wieder sehen.«
    Einen Augenblick wollte Torak schier verzweifeln.
    Dann erinnerte er sich daran, wie Renn, klein und strahlend, am Eingang der Höhle gestanden und ihre letzten Pfeile auf den Bärendämon abgeschossen hatte. Sie hatte gewusst, dass sie nicht gewinnen konnte, aber sie hatte trotzdem weitergekämpft.
    Er hob den Kopf.
    »Ich glaube dir nicht.«
    Die Peitsche des Seelenessers entrollte sich mit einem Knall und ließ einen Funkenregen aus dem Feuer aufwirbeln. »Es ist vorbei, Seelenwanderer. Gegen mich kannst du nichts ausrichten.«
    »Ich bin noch nicht tot«, erwiderte Torak.
    Thiazzi zückte sein Messer und kam direkt auf ihn zu.
    Torak wich ein Stück zur Seite.
    Der Eichenschamane lachte. »Ich reiße dir die Wirbelsäule heraus. Ich zermalme deinen Schädel unter meiner Ferse, bis dir die Augäpfel herausspringen. Dann ist es vorbei mit dem Seelenwanderer, der um mich herumschwirrt wie eine lästige Fliege um einen Bison. Ich bin der Eichenschamane! Ich bin der Herrscher des Waldes!« Schaum flog ihm von den Lippen. Seine Stimme hallte von den Felsen zurück.
    Irgendwo heulte ein Wolf. Zwei Mal, ganz kurz. Wo – bist du?
    Torak heulte zurück. Ich bin hier! Wo ist die Rudelgefährtin?
    Aber Wolf wusste es nicht.
    Knurrend schüttelte Thiazzi seine dreifingrige Faust. »Dein Wolf hat schon einmal ein Stück von mir geholt, aber das wird ihm diesmal nicht gelingen!« Er schob das Messer in die Scheide zurück, zog ein brennendes Scheit aus dem Feuer und streifte damit über den Dornenkreis. Der Wacholder fing sofort Feuer und verwandelte sich mit einem dumpfen Wusch in eine Flammenwand. »Sogar das Feuer beugt sich meinem Willen!«
    Jenseits des Feuerkreises hörte Torak das Knirschen von Kieseln, dann wütendes Knurren und ein Bellen, das in ein Winseln überging. Die Flammen waren zu hoch. Er bellte eine Warnung zurück: Bleib weg! Du kannst mir nicht helfen!
    Er legte die Hand auf seinen Medizinbeutel – den Schwanenfußbeutel, den Renn ihm geschenkt hatte. »Renn!«, rief er. »Wo bist du, Renn?«

    Torak rief ihren Namen, aber Renn konnte nur leise wimmern und erstickt hüsteln. Die Große Eibe war voller Rauch. Wenn sie nicht bald etwas unternahm, musste sie in diesem Baum sterben.
    Trotzdem konnte sie sich einfach nicht von dem Spalt in der Rinde losreißen. Sie hatte das Gefühl, dass sie Torak, solange sie ihm zusah, am Leben erhielt; sobald sie den Blick abwandte, würde Thiazzi ihn umbringen.
    Wie dumm, wie dumm!, schalt sie sich und sah doch weiter zu, wie Torak langsam um das Feuer herumschritt. Mit bedächtigen Schritten und knallender Peitsche folgte ihm der Schamane, spielte mit seiner Beute wie ein Luchs mit einem Lemming. Torak war erschöpft. Sein Haar war vor Schweiß ganz strähnig und er stolperte immer wieder. Er würde sich nicht mehr lange zur Wehr setzen können.
    Mit gewaltiger Willensanstrengung riss Renn den Blick los und humpelte nach hinten. Ihre Stiefel schlurften durch alte Blätter und Knochen, nutzlose, zerbröckelnde Knochen. Sie fiel hin, landete auf den Händen, riss sich die Handflächen auf. Es war hoffnungslos.
    Etwas Warmes rann ihr zwischen den Fingern hindurch. Sie drehte sich um, kam aber nicht weit genug, um etwas zu sehen.
    Sie hatte sich die Hand an einem Knochen oder einer Wurzel geritzt. Wenn sie dieses Stück wiederfand …
    Der Rauch war zu dicht. Sie konnte weder atmen noch etwas sehen. Sie tastete hinter sich auf dem Boden herum. Wo war es bloß?
    Da! Eine schmale, gezackte Kante. Doch nicht etwa ein Feuerstein? Was es auch sein mochte, es schien unverrückbar in der Eibe zu stecken.
    Sie schob sich näher heran und fing an, die Handfesseln hin und her zu bewegen.
    Die Geräusche von draußen waren gedämpft und

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