Chronik der dunklen Wälder - Seelenesser: Band 3 (German Edition)
auf, er kam taumelnd auf die Beine und brüllte dem Wind entgegen: »Na schön, du hast gewonnen! Es tut mir leid. Ich will auch nie mehr versuchen zu fliegen! Es tut mir leid, hörst du?«
Der Wind heulte. Schaurige Schemen bedrängten Torak. Eine wirbelnde Schneesäule fegte heran und zerstob …
Mit einem Mal aber schien der Schnee nicht mehr umherzuwirbeln, sondern sich zu verdichten. Unzählige kleine Flocken ballten sich zu einem Geschöpf zusammen, wie es Torak noch nie erblickt hatte.
Es hatte Glotzaugen wie eine Eule und kam durch das weiße Treiben auf ihn zugeflogen. Vorneweg hetzte eine stumme Hundemeute.
Torak war zu abgekämpft, um zu erschrecken. Es ist aus, dachte er benommen. Tut mir leid, Wolf. Tut mir leid, dass ich dich nicht befreien konnte.
Er brach in die Knie und das eulenäugige Geschöpf stürzte sich auf ihn.
Kapitel 8
DAS EULENGESCHÖPF rief einen knappen Befehl und die Hunde hielten an. Dann zückte es ein langes, krummes Messer und hackte unglaublich flink und geschickt eine Grube in den Schnee. Torak und Renn wurden gepackt und hineingeworfen und zu guter Letzt wurde die Grube oben mit einer Lage Schnee verschlossen.
Es war stockdunkel. Nach dem Wüten des Windes kam ihnen ihr eigenes heiseres Keuchen furchtbar laut vor. Torak hörte steif gefrorenes Leder knarren und nahm einen leicht ranzigen Geruch wahr, der ihm irgendwie bekannt vorkam. Er konnte Renn nicht sehen, denn das sonderbare Geschöpf war zwischen ihnen beiden in die Grube gesprungen, aber Torak war so erledigt, dass es ihm nichts ausmachte.
Verblüfft stellte er fest, dass ihm nicht mehr kalt, sondern mollig warm war. Erst ist einem kalt, dachte er, dann wieder nicht. Dann ist einem heiß und dann stirbt man.
Eigentlich mochte er den Tod. Der Tod war schön weich und warm, wie das Fell eines riesigen weißen Rentiers. Torak wollte es über den Kopf ziehen und sich hineinschmiegen …
Jemand schüttelte ihn. Er ächzte. Eulenaugen glotzten ihn an und entrissen ihn der wohligen Umarmung des Todes.
Torak erkannte undeutlich eine schneeverklebte Fellkrause um ein rundes, vom Frost blaurot verfärbtes Gesicht. Eis verkrustete die Brauen und den kurzen schwarzen Bart, über die flache Nase verlief ein dunkler Streifen, eine Torak unbekannte Tätowierung. Trotzdem sehnte er sich nur danach, sich wieder dem Tod zu ergeben.
Das fremde Geschöpf knurrte wütend und riss sich die Augen aus.
Erst jetzt erkannte Torak, dass die Eulenaugen in Wirklichkeit dünne, auf einen Lederriemen gefädelte Knochenscheiben waren. Die richtigen Augen des Fremden waren schlitzförmig, wie gegen den grellen Schneeglast dauerhaft zusammengekniffen. Er schob den Ärmel seiner Kapuzenjacke hoch, nahm ein Feuersteinmesser und schnitt an seinem kräftigen braunen Unterarm eine Ader auf. »Trink!«, befahl er barsch und drückte Torak die Wunde an die Lippen.
Salzig-süße Wärme breitete sich in Toraks Mund aus. Er hustete und schluckte Blut. Kraft und Wärme durchströmten ihn, echte Wärme, nicht die trügerische Wärme des Erfrierungstodes. Mit der Wärme kam der Schmerz. Sein Gesicht brannte. Glühende Nadeln bohrten sich in seine Glieder.
Er hörte Renn maulen: »Lass mich in Frieden! Will schlafen!«
Der Fremde steckte etwas in den Mund und kaute darauf herum. Dann spuckte er einen grauen Klumpen in die hohle Hand und schob ihn Torak zwischen die Zähne. »Iss!«
Es schmeckte ranzig und ölig, dann erkannte Torak den Geschmack wieder. Robbenspeck. Köstlich!
Jetzt schmierte der Mann Torak den zerkauten Speck auch noch ins Gesicht. Anfangs tat es weh, denn seine Hand war rau wie Granit, aber erstaunlicherweise ließ der Schmerz bald nach und war nur noch ein erträgliches Pochen.
»Wer bist du?«, nuschelte Torak.
»Nachher«, erwiderte der Mann knapp, »wenn sich der Zorn des Windes gelegt hat.«
»Wie lange dauert das?«, fragte Renn.
»Einen Schlaf oder viele, wer kann das sagen? Still jetzt!«
Torak ist zwölf Sommer alt und Fa schon beinahe einen halben Mond tot.
Torak hat eben seinen ersten Rehbock erlegt, und um Wolf bei Laune zu halten, während er das Fell abzieht, hat er ihm die Hufe zugeworfen. Der Welpe mag nicht mehr damit spielen und kommt neugierig angetrabt, um zu sehen, was Torak da macht.
Torak wäscht im Bach Rehdärme aus. Wolf schnappt sich ein Ende und zieht daran. Torak zieht auch. Wolf macht die Vorderläufe lang und wedelt mit dem Schwanz. Spielen!
Torak muss sich das Lachen verbeißen. »Nein,
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