Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Chronik der dunklen Wälder - Seelenesser: Band 3 (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Seelenesser: Band 3 (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Seelenesser: Band 3 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
Vom Netzwerk:
Nachricht.
    »Ich hätte sie reinholen sollen«, sagte Renn.
    »Hier ist nicht genug Platz.«
    »Trotzdem. Dann hätte ich eben Platz schaffen müssen.«
    »Du hast dich um mich gekümmert, es ist nicht deine Schuld. Wir haben ja noch unsere Messer. Wir schaffen das schon.«
    Torak zückte sein Messer. Im vergangenen Sommer hatte Fin-Kedinn es für ihn angefertigt. Die Waffe hatte einen schlanken Knauf aus dem Schenkelknochen eines Rentiers und war vorn mit hauchdünnen Feuersteinsplittern gespickt. Sie war nicht dafür gemacht, auf verkrusteten Schnee einzuhacken. Fas Schiefermesser hätte diesen Zweck besser erfüllt, aber Fin-Kedinn hatte Torak eingeschärft, es ganz unten in seiner Trage zu verstecken. Jetzt bereute Torak, dass er den Rat befolgt hatte.
    »Dann wollen wir mal«, sagte er mit gespielter Gelassenheit.
    Dass sie einen Gang graben mussten, ohne zu ahnen, wie lang er sein musste, war eine beklemmende Vorstellung. Notgedrungen schaufelten sie den weggekratzten Schnee mit den Händen zusammen und warfen ihn hinter sich, sodass sie, wie eifrig sie auch gruben, im immer gleichen engen Loch festsaßen. Die tropfenden Wände schienen auf sie einzudringen und sie hörten ihr eigenes angstvolles, lautes Atmen.
    Als sie ungefähr eine Armlänge weit gegraben hatten, legte Torak das Messer weg. »Es hat keinen Zweck.«
    Renn stand die Verzweiflung im Gesicht geschrieben. »Stimmt. Manche Schneewehen sind so dick wie … Womöglich kommen wir überhaupt nicht durch.« Torak merkte, dass sie sich sehr zusammenreißen musste, um Ruhe zu bewahren, und vermutete, dass sie an ihren Vater dachte. »Dann graben wir eben aufwärts.«
    Sie nickte.
    Aufwärts zu graben war noch anstrengender. Schneebrocken fielen ihnen ins Gesicht und in den Kragen und bald schmerzten ihre Arme unerträglich. Sie arbeiteten Rücken an Rücken, trampelten den heruntergefallenen Schnee mit den Stiefeln fest. Torak biss so heftig die Zähne zusammen, dass es wehtat.
    Allmählich nahm der Schnee über ihren Köpfen eine bläuliche, wärmere Farbe an. »Sieh doch, Renn!«
    Sie nickte.
    Fieberhaft hämmerten sie mit den Messerknäufen drauflos. Auf einmal zersplitterte die Schneekruste wie eine Eierschale  – und sie waren durch.
    Das gleißende Licht blendete sie, die Kälte stach ihnen in die Lungen. Sie standen mit emporgewandten Gesichtern da, schnappten gierig nach Luft wie Vogeljunge nach Futter. Dann kletterten sie ins Freie und ließen sich in den Schnee plumpsen. Ein leichter Wind strich ihnen kühl durch das schweißverklebte Haar. Der Sturm war weitergezogen.
    Torak entfuhr ein zittriges Lachen.
    Renn lag auf dem Rücken und starrte ins Leere.
    Torak setzte sich auf und stellte fest, dass ihr Unterschlupf unter einem sanft ansteigenden Hügel verschwunden war, der am vorigen Abend noch nicht da gewesen war. »Unsere Sachen! Wo sind unsere Sachen?«
    Renn rappelte sich mühsam auf.
    Abgesehen von den Messern und Schlafsäcken lag alles, was sie zum Leben brauchten – Pfeile, Bögen, Äxte, Verpflegung, Feuerholz, Wassersäcke, Kochleder, einfach alles –, irgendwo unter dem Schnee.
    Betont gelassen klopfte sich Torak die Beinleder ab. »Wir wissen ja noch, wo unsere Schneehütte war. Wir graben einfach immer rundherum, dann stoßen wir schon irgendwann auf unsere Sachen.« Dabei wusste er so gut wie Renn, dass sie, falls sie ihre Habseligkeiten nicht vor Anbruch der Dunkelheit wiederfanden, wahrscheinlich nicht noch eine Nacht überstehen würden. Diese eine Unachtsamkeit konnte sehr wohl ihrer beider Tod bedeuten.
    Nachdem sie so lange unter Aufbietung aller Kräfte aufwärts gegraben hatten, war es ausgesprochen entmutigend, jetzt wieder abwärts graben zu müssen. Außerdem kehrte, kaum dass sie angefangen hatten, der Wind zurück und blies ihnen den Schnee in gleißenden, erstickenden Wolken entgegen.
    Torak hatte die Hoffnung fast schon aufgegeben, als Renn ausrief: »Mein Bogen! Ich habe meinen Bogen gefunden!«
    Es war schon später Nachmittag, als sie die übrigen Sachen endlich ausgegraben hatten, und sie waren erschöpft, durchgeschwitzt und furchtbar durstig.
    »Am besten graben wir uns wieder ein und ruhen uns bis morgen früh aus«, schnaufte Renn.
    »Das können wir uns nicht leisten«, erwiderte Torak. Er fieberte danach, weiterzuziehen und Wolf einzuholen.
    »Ich weiß ja«, sagte Renn, »ich weiß.«
    Als sie ein wenig Räucherfleisch gegessen und die Wassersäcke leer getrunken hatten, schützten sie ihre

Weitere Kostenlose Bücher