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Chronik der dunklen Wälder - Seelenesser: Band 3 (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Seelenesser: Band 3 (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Seelenesser: Band 3 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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reckte den Hals … und verspeiste die Fliegen. »So ist’s recht, meine Schöne«, brummte die Seelenesserin. Als sie Toraks staunenden Blick sah, setzte sie hinzu: »Na los, lass dich von ihr beschnüffeln!«
    Torak hielt der Fledermaus den Zeigefinger hin. Ihre zerknitterten Ohren bebten wie zartes Laub und ihr warmes Zünglein streifte ihn. Fremde Beute , dachte er und stellte sich vor, wie die Fledermaus über den Schnee huschte, wie sie die Klauen in die harsche Kruste grub und ihre Ellbogen kleine Löcher wie von Stümpfen hinterließen. Es gab ihm einen Stich, als er sich ausmalte, wie sich der unverbesserlich neugierige Wolf auf diese Spuren gestürzt hatte.
    »Sie mag dich«, brummelte Nef. »Sonderbar.« Ohne näher darauf einzugehen, stapfte sie weiter, und Torak fiel in Laufschritt, um sie einzuholen.
    »Woran ist dein Sohn denn gestorben?«
    »Er ist verhungert. Die Beute hat unseren Teil des Waldes gemieden. Wir müssen den Weltgeist wohl erzürnt haben. Damals wäre ich am liebsten auch gestorben. Ich habe es draufangelegt, aber der Wolfschamane hat mich gerettet.«
    Die Erwähnung seines Vaters traf Torak wie ein Schlag.
    »Das Leben hat er mir gerettet«, sagte Nef verbittert. »Jetzt ist er tot und ich kann es ihm nicht mehr vergelten. Dankbarkeit ist etwas Schreckliches.«
    Unvermittelt packte sie Toraks Hände und drückte sie schmerzhaft fest auf die Felswand. »Deswegen sind wir hier, Junge! Um den Weltgeist zu versöhnen. Los! Sag mir, was du spürst.«
    Torak sträubte sich, aber sie ließ ihn nicht los. Das Gestein unter seinen Handflächen war feucht und warm. Dahinter krümmte und wand sich etwas. »Der Stein … der Stein ist lebendig!«
    »Was du da spürst, ist die Hülle zwischen unserer Welt und der Anderen Welt. Unter der Erde gibt es Orte, wo diese Hülle dünn geworden ist.«
    Torak war schon einmal in einer Höhle gewesen und erkundigte sich, ob solche Orte auch im Wald vorkamen.
    »Einer. Wir haben es dort probiert, aber die Pforte wollte sich nicht öffnen.«
    »Was habt ihr überhaupt vor?«, wollte Torak wissen. »Warum seid ihr hier?«
    Nefs kleine Augen funkelten. »Das weißt du doch.«
    Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Aber … wenn ich ein Seelenesser werden soll, muss ich mehr darüber wissen.«
    Die Schamanin beugte sich vor. Ihr säuerlicher Fledermausgeruch hüllte ihn ein. »Erst einmal müssen wir die Pforte suchen. Die Stelle, wo die Hülle am dünnsten ist. Dann müssen wir einen Zauber wirken, der uns vor dem schützt, was sich dort Durchlass verschaffen will. Und zu guter Letzt«, jetzt flüsterte sie, »müssen wir warten, bis sich der Mond verdunkelt, und die Pforte öffnen.«
    Torak schluckte und hörte wieder den Streuner sagen: »Sie wollen nämlich die Pforte öffnen!«
    »Aber … wozu?«, keuchte er. »Warum wollt ihr …«
    »Schluss mit der Fragerei!«, fauchte Nef. »Wir haben alle Hände voll zu tun.«
    Sie eilten weiter, bis sie in der stinkenden Höhle herauskamen, wo Torak den Vielfraß gehört hatte. Jetzt nahm er auch den unterirdischen Fluss wahr, den er zuvor übersehen hatte und der sich in einer flachen Mulde zu einem Teich verbreiterte, ehe er in einem Felsspalt verschwand. Am Ufer des Teichs stand ein Eimer aus Birkenrinde, daneben lag ein mit Räucherfisch gefüllter Rindenfaserbeutel.
    Nef wies ihn an, beides zu holen. Sie trat vor eine der Wandnischen und schob die Steinplatte eine Handbreit auf. Sie warf ein Stück Fisch hinein, holte eine kleine Birkenholzschüssel heraus, füllte sie mit Wasser und stellte sie wieder zurück.
    Torak sah ein Augenpaar glänzen. Ein Otterweibchen. Jenes Otterweibchen, von dessen fröhlicher Rutschpartie die Spuren im Schnee gekündet hatten. Sein glattes Fell war stumpf und es wich ängstlich zurück. Toraks Mitleid für Nef verflog. Wenn sie zu so etwas imstande war …
    Die Fledermausschamanin schob die Platte wieder zu, ließ nur einen schmalen Luftschlitz offen und humpelte zur nächsten Nische. So arbeiteten sie sich durch die ganze Höhle. In den anderen Wandnischen erspähte Torak einen vor Erschöpfung eingeschlafenen Eisfuchs, einen zerzausten Adler, der die beiden Menschen mit zornigen gelben Augen anfunkelte, einen Luchs, der so wenig Platz hatte, dass er sich nicht einmal umdrehen konnte, und einen giftig fauchenden Vielfraß.
    Ganz am Ende der Höhle, in einer großen, tiefen Grube, die bis auf einen schmalen Spalt mit einer riesigen Steinplatte verschlossen war,

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