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Chronik der dunklen Wälder - Seelenesser: Band 3 (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Seelenesser: Band 3 (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Seelenesser: Band 3 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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draußen im Schnee bei Renn gewesen. Nun stand er im Bauch der Erde mitten unter den Seelenessern.
    Die Seelenesser. Sie hatten ihn im Traum heimgesucht. Sie hatten seinen Vater umgebracht. Endlich stand er ihnen leibhaftig gegenüber. Sie waren rätselhaft und unergründlich und doch greifbarer, als er sich je hätte träumen lassen.
    Der Eichenschamane Thiazzi hatte sich auf einem Felsen ausgestreckt, kaute Fichtenblut und besprenkelte seinen Bart mit goldgelben Krumen. Abgesehen davon dass er Freude daran hatte, andere zu quälen, hätte er ein beliebiger Jäger aus dem Wald sein können.
    Die Natternschamanin Seshru lehnte sich anmutig an ihn. Das Robbenfellgewand um ihre geschmeidige Gestalt schimmerte wie Mondschein auf einem See. Ihr ausdrucksloses Lächeln jagte Torak einen Schauer über den Rücken. Als sie sich flüchtig die Lippen leckte, sah man ihre spitze schwarze Zunge.
    Aus der Fledermausschamanin Nef wurde Torak am allerwenigsten schlau. Mit verschlagenen Äuglein blickte sie argwöhnisch zwischen Thiazzi und Seshru hin und her und schien mit beiden nicht einverstanden – und mit sich selbst auch nicht.
    Irgendwo rief eine Eule.
    Seshrus Lächeln erstarb.
    Thiazzi hielt im Kauen inne.
    Nef brummelte etwas und griff nach dem Clanabzeichen aus schwärzlichem Fell, das an ihrer Schulter baumelte.
    Die Fackeln verdunkelten sich.
    Torak sah erschrocken, dass ein vierter Seelenesser in einem Winkel hockte, der eben noch dunkel und leer gewesen war.
    »Seht nur, die Maskierte ist da«, raunte Seshru.
    »Eostra«, sagte Thiazzi heiser, »die Adlereulenschamanin.«
    Nef zog sich an einem Felsschössling hoch und zerrte auch Torak auf die Füße.
    Die Maskierte, dachte Torak und erinnerte sich an das gequälte Gesicht des Streuners. Die ist die Allergrausamste.
    Im Halbdunkel erspähte Torak eine große graue Maske, die ihn mit dem starren Blick der größten Eulenart ansah. Eulenfedern bedeckten den Kopf, von dem zwei spitze Ohren abstanden, lange aschgraue Locken fielen über das gefiederte Gewand. Nur die Hände schauten heraus. Die langen, krummen Fingernägel waren bläulich unterlaufen wie bei einer Leiche, die Haut war grünlich wie verdorbenes Fleisch.
    »Bringt ihn her«, befahl eine Stimme, heiser wie das Röcheln eines Sterbenden.
    Nef versetzte Torak einen Stoß und er fiel auf die Knie. Es roch nach Verwesung wie an der Schädelstätte der Raben. Blankes Entsetzen ließ ihm das Herz stocken.
    Beängstigend bedächtig beugte sich der maskierte Eulenkopf über ihn und Torak spürte einen starken, bösartigen Willen auf sich eindringen.
    Als er es kaum noch aushalten konnte, zog sich die Maske zurück. »Gut«, sagte sie. »Nehmt ihn wieder weg.«
    Der zitternde Torak atmete auf und kroch auf den Knien in den beleuchteten Teil der Höhle. Die Fackeln flammten wieder auf. Als Torak sich umzudrehen wagte, war die Eulenschamanin Eostra verschwunden.
    Allerdings war nicht zu übersehen, dass ihr Erscheinen seine Wirkung getan hatte. Der Eichenschamane und die Natternschamanin machten sich eifrig zwischen den Steinbäumen zu schaffen und sammelten Körbe und Beutel ein, deren Inhalt Torak nicht erkennen konnte.
    »Komm, Junge«, sagte Nef. »Du kannst mir helfen, die Opfertiere zu versorgen. Danach bringen wir beide das erste Opfer dar.«

Kapitel 18

    ALS TORAK HINTER der Fledermausschamanin her durch den Steinwald ging, saß ihm der Schreck über Eostras Erscheinen noch in den Knochen.
    Nef gab ihm den Beutel mit der Eule. »Leg sie dorthin«, sagte sie und zeigte auf einen Felsvorsprung neben dem Opferstein, »und komm mit.«
    Ehe er den Beutel weglegte, lockerte Torak den Riemen, damit die Eule mehr Luft bekam. »Dir ist nicht wohl dabei, einem Jäger etwas anzutun, stimmt’s?«, fragte Nef barsch. »Wenn du ein Seelenesser werden willst, musst du noch viel schlimmere Dinge tun.« Sie nahm eine Fackel und betrat die gewundenen Gänge. »Dann musst du zum Wohle aller die Last der Sünde auf dich laden. Traust du dir das zu, Junge?«
    »Glaub schon«, erwiderte Torak unsicher.
    »Nun, wir werden ja sehen. Wie alt bist du eigentlich?«
    »Dreizehn Sommer.«
    »Dreizehn.« Nefs Miene verfinsterte sich. »Mein Sohn wäre jetzt vierzehn, wenn er noch lebte.«
    Beinahe tat sie Torak leid.
    »Dreizehn Sommer«, wiederholte die Fledermausschamanin versonnen, griff geistesabwesend in den Beutel an ihrem Gürtel und holte eine Handvoll tote Fliegen heraus. Das Clanabzeichen auf ihrer Schulter regte sich…

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