Chronik der dunklen Wälder - Seelenesser: Band 3 (German Edition)
konnte im Schein der schwankenden Fackel kaum etwas von seiner Umgebung erkennen. Höckerige rote Wände wie ein klaffender Schlund. Ein Gang, bleich und gewunden wie Gedärm. Gelbe Handabdrücke leuchteten auf und verschmolzen wieder mit der Dunkelheit. Dazu hörte man unablässig Wasser tröpfeln.
Torak wurde erst jetzt allmählich klar, wie töricht er gewesen war. Wenn die Seelenesser sein Gesicht sähen, würden sie sofort erkennen, dass er nicht der Eisfuchsjunge war. Womöglich fiel ihnen sogar eine gewisse Ähnlichkeit mit seinem Vater auf. Vielleicht wussten sie aber auch längst, wer er war, und das Ganze war eine Falle.
Immer weiter drangen sie in den Berg vor. Die Felswände verströmten eine klebrige Wärme, die sich Torak wie Spinnweben aufs Gesicht legte. Beißender Gestank schnürte ihm die Kehle zu.
»Du musst durch den Mund atmen«, sagte die Seelenesserin mürrisch.
Fa hatte ihm oft dasselbe geraten. Es war unerträglich, seine Worte aus dem Mund des Feindes zu hören.
Über Toraks Kopf hingen rötliche Gesteinsfalten von der Decke wie blutige Lederfetzen. Unsichtbare Geschöpfe flüchteten sich vor dem Licht in ihre Vertiefungen.
Torak stieß sich den Kopf, fiel hin und schrie vor Ekel auf, als er in lauter dünne graue Würmer griff.
Eine kräftige Hand packte ihn am Arm und zog ihn unsanft hoch. »Still!«, schimpfte die Seelenesserin. »Du scheuchst sie auf!« Und an die Dunkelheit gewandt: »Ist ja gut, meine Kleinen.« Wie zur Antwort ertönte das Gefiep und Geflatter zahlloser Fledermäuse.
»Die Wärme hält sie wach«, sagte die Seelenesserin knapp, legte die Hand auf die Felswand und bedeutete Torak, es ihr nachzutun. Torak zog seine Hand sofort wieder zurück. Das Gestein war warm wie ein eben erlegtes Tier. Dafür gab es nur eine Erklärung. Die Andere Welt.
»Ja, die Andere Welt«, bestätigte die Seelenesserin, als könnte sie Gedanken lesen. »Was dachtest du denn, wozu wir so weit laufen?«
Torak wagte nicht zu antworten, was sie zu ärgern schien. »Gib acht, dass die Fledermäuse deine Augen nicht sehen«, brummte sie. »Sie stürzen sich auf alles, was glänzt.«
Auf einmal weitete sich der Gang zu einer lang gestreckten, niedrigen Höhle von der Farbe getrockneten Blutes. Hier stank es so abscheulich wie ein Abfallhaufen im heißesten Sommer. Torak verschlug es den Atem.
Dann sah er etwas, das ihn den Gestank vergessen ließ. Lauter Vertiefungen waren in die Wände geschlagen, manche waren mit Steinplatten verschlossen. In einer hörte man einen Vielfraß fauchen.
Toraks Herz schlug schneller. Wenn hier ein Vielfraß untergebracht war, warum nicht auch ein Wolf?
Er stieß ein dumpfes, klagendes Knurren aus, das Wolf auf jeden Fall erkennen würde. Ich bin’s!
Keine Antwort. Toraks Enttäuschung war grenzenlos. Wenn Wolf noch lebte, war er jedenfalls woanders.
»Hör auf zu winseln und trödle nicht rum!«, sagte die Seelenesserin gereizt. »Wenn du dich hier verläufst, finden wir dich nie mehr wieder.«
Ein ums andere Mal bogen sie in angrenzende Gänge ab, bis Torak ganz wirr im Kopf war. Ob die Seelenesserin absichtlich so einen verzwickten Weg nahm, damit er sich nicht mehr zurechtfand? Hinter der Stirn des schnauzenähnlichen Gesichts wohnte ein wacher Verstand, das spürte man. Krumme Beine, flinker Verstand , hatte der Streuner gesagt.
Der Gang mündete in eine größere Höhle – und Torak bekam weiche Knie. Vor ihm erhob sich ein Wald. Ein Wald aus Stein.
Ein dunkles Dickicht ragte empor und strebte vergeblich dem Sonnenschein entgegen, steinerne Wasserfälle waren in ewigem Winter erstarrt. Als Torak dem tanzenden Fackelschein nachging, trieb ihm die Schwüle den Schweiß auf die Stirn. Er hörte es leise tröpfeln, erblickte stille Tümpel und verworrenes Wurzelwerk. Immer wieder erhaschte er einen Blick auf albtraumhafte, in Steingewänder gehüllte Gestalten, manche kauerten über seinem Kopf, andere waren halb im Wasser untergetaucht. Wenn er noch einmal hinsah, waren sie fort, trotzdem spürte er ihre Gegenwart: das Verborgene Volk des Berges.
Vor einem mächtigen, grünlichen, oben abgeflachten Felsblock, der den Eindruck machte, als hätte ihn jemand von übermenschlicher Körperkraft so zugehauen, blieb die Seelenesserin stehen. Torak hörte ein Geräusch und begriff, dass er beobachtet wurde.
Sein Fuß verfing sich in einer Wurzel, er stolperte und fiel hin. Gelächter hallte durch die Höhle.
»Wer ist das denn, Nef?«, spottete eine
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