Chronik der dunklen Wälder - Seelenesser: Band 3 (German Edition)
erhaschte Torak einen Blick auf den Furcht einflößenden, unverwechselbaren Umriss eines mächtigen Eisbären.
»Der kriegt bloß was zu trinken.« Nef nahm ihm den Eimer ab und kippte einen Schwall Wasser durch den Spalt. »Wir lassen ihn hungern, anders werden wir nicht mit ihm fertig.«
Der Bär knurrte dumpf und warf sich gegen die Steinplatte, aber die rührte sich nicht. Sie war so schwer, dass sogar ein Bär sie nicht bewegen konnte.
»Wie habt ihr ihn gefangen?«
»Seshru kennt sich mit Schlaftränken aus und Thiazzis Körperkraft hat auch ihre Vorteile«, erwiderte Nef geringschätzig.
Torak sah sich um. Ihm wurde immer klarer, dass das, was die Seelenesser vorhatten, noch weit furchtbarer war als die Entführung Wolfs. »Es sind alles Jäger«, sagte er.
»Stimmt.«
»Und wo ist der Wolf?«
»Wie kommst du auf einen Wolf?«, fragte Nef argwöhnisch zurück.
»Ich habe vorhin einen gehört«, erwiderte Torak rasch. »Er hat geheult.«
Die Fledermausschamanin machte kehrt und schlurfte den Weg wieder zurück. »Der Wolf wird erst morgen hergebracht, wenn der Mond dunkel und der rechte Augenblick gekommen ist.«
Torak schaute sich noch einmal verstohlen um, ob er womöglich eine Nische übersehen hatte.
Abermals schien Nef seine Gedanken zu erraten. »Er ist nicht hier. Er soll nicht mit den anderen zusammenkommen.«
»Wieso nicht?«
Torak erntete einen strafenden Blick. »Du fragst zu viel.«
»Ich bin eben lernbegierig.«
Die Fledermaus auf Nefs Schulter flatterte auf und ihre Herrin sah ihr nach. »Das hat Seshru so bestimmt. Letzten Sommer hat sie eine rätselhafte Nachricht von unserem Bruder jenseits des Meeres erhalten: ›Der Wolf lebt.‹ Wir wissen zwar nicht, was das bedeuten soll, haben den Wolf aber vorsichtshalber woanders untergebracht.«
Torak überlegte fieberhaft. Wussten die Seelenesser etwas? Vielleicht nicht genug, um daraus zu schließen, dass er ein Seelenwanderer war, trotzdem …
Er merkte, dass ihn Nef beobachtete, darum stellte er rasch eine Frage, deren Antwort er schon kannte. »Was habt ihr mit den Tieren vor?«
»Rate mal.«
»Ihr wollt sie töten.«
Die Fledermausschamanin nickte. »Das Blut der neun Jäger ist das schrecklichste – und das wirkungsvollste Opfer.«
In Toraks Schläfen hämmerte es. Die Höhlenwände schienen näher zu rücken.
»Du hast gesagt, du willst dich uns anschließen«, fuhr Nef fort. »Dann fang am besten gleich damit an.« Sie hob die Fackel, und Torak erkannte, dass sie ihn einmal im Kreis herumgeführt hatte, zurück in den Steinwald. Die Höhle war leer. Die anderen Seelenesser waren fort. Die Eule lag immer noch in ihrem Beutel auf dem Felsvorsprung und erwartete den Opfertod.
Torak schnürte es die Kehle zu. »Aber… du hast doch ›morgen‹ gesagt… wenn sich der Mond verdunkelt.«
»Dann erst wirken wir den vollständigen Zauber, das stimmt. Vorher müssen wir aber die Pforte suchen – und auch dabei müssen wir uns schützen. Dafür sorgt das Eulenblut, außerdem können wir dann besser hören, was sich hinter der Hülle tut.«
Die Fledermausschamanin steckte die Fackel in einen Felsspalt, griff in den Beutel und zog den Vogel heraus. Mit einer Hand hielt sie ihn im Genick gepackt, damit er sich nicht wehren konnte, mit der anderen Hand streckte sie Torak ihr Messer am Knauf hin. »Nimm schon«, befahl sie. »Hack ihr den Kopf ab!«
Torak sah die Eule an. Die Eule sah ihn an. Sie war ganz zerzaust und starr vor Schreck.
Nef stieß ihm den Messerknauf vor die Brust. »Bist du so ein Weichling, dass du schon an der ersten Prüfung scheiterst?«
Eine Prüfung …
Torak begriff, dass die Fledermausschamanin die ganze Zeit auf diesen Augenblick hingewirkt hatte. Sie wollte herausfinden, ob er war, was zu sein er vorgab: ein Eisfuchsjunge, der entschlossen war, in den unheilvollen Bund der Seelenesser einzutreten.
»Aber die Eule ist keine Beute«, wandte er ein. »Wir wollen sie nicht essen und haben sie nicht gejagt. Sie hatte keine Gelegenheit, uns zu entkommen.«
Die Fledermausschamanin erwiderte mit leidenschaftlichem Blick: »Manchmal muss sich eben ein Unschuldiger zum Wohle aller opfern.«
Zum Wohle aller?, dachte Torak. Was für ein Wohl?
»Nimm endlich das Messer«, drängte Nef.
Torak konnte kaum atmen. Die Luft war heiß und zäh von Sünde.
»Los jetzt! Wir sind Seelenesser, wir vertreten den Weltgeist. Bist du für uns oder gegen uns? Einen Mittelweg gibt es nicht!«
Torak nahm das Messer,
Weitere Kostenlose Bücher