Chronik der dunklen Wälder - Seelenesser: Band 3 (German Edition)
kniete nieder und legte die freie Hand auf die Eule. Noch nie hatte er so etwas Weiches gespürt wie ihr Gefieder, so etwas Zerbrechliches wie die zarten Knochen, die das kleine, ängstlich pochende Herz schützten.
Wenn er sich weigerte, würde Nef ihn umbringen, die Seelenesser würden die Pforte öffnen und unfassbares Leid über die Welt bringen.
Und Wolf musste sterben.
Torak holte tief Luft, bat den Weltgeist stumm um Verzeihung – und ließ das Messer niedersausen.
Kapitel 19
»ES IST GETAN«, verkündete die Fledermausschamanin.
»Ist da drin das Blut?«, fragte der Eichenschamane.
»Was sonst?«
Renn wagte kaum zu atmen und machte sich in ihrem Versteck, einer feuchtkalten Felsspalte hinter einem Dickicht steinerner Schösslinge, noch kleiner. Wo war Torak? Was hatten die Seelenesser mit ihm gemacht?
Sie beobachtete die Seelenesserin, die eine Fackel in der einen und einen Hornbecher in der anderen Hand hielt. Im flackernden Licht warf sie einen riesigen, krummbeinigen Schatten. Die Höhlendecke wimmelte von Fledermäusen.
»Wo ist der Junge?«, fragte der Eichenschamane und trat vor den Opferstein.
»Bei den Opfertieren«, antwortete die Fledermausschamanin. »Es hat ihn ziemlich mitgenommen. Seshru kümmert sich um ihn.«
Renn bekam eine Gänsehaut.
»Mitgenommen, soso«, brummte der Eichenschamane spöttisch. »Der Junge ist ein Feigling, Nef! Hoffentlich wirkt sich das nicht auf den Zauber aus.«
»Wie denn, Thiazzi? Er ist freiwillig zu uns gekommen, er hat sich selbst angeboten. Er wird seinen Zweck schon erfüllen.«
Welchen Zweck?, dachte Renn. So weit sie es verstanden hatte, hatte Torak mit seiner List Erfolg gehabt. Die Seelenesser hatten ihn weder erkannt noch hatten sie gemerkt, dass er ein Seelenwanderer war. Aber was wollten sie eigentlich mit ihm?
Renn überlegte auch, wie viele Seelenesser sich wohl im Berg aufhielten. Ursprünglich waren es sieben gewesen, zwei waren schon tot. Blieben noch fünf. Der Eisfuchsjunge hatte nur vier erwähnt. Wo war der fünfte?
Dann vergaß sie diese Überlegung, denn die Fledermausschamanin klemmte ihre Fackel in einen Felsspalt, tunkte den Zeigefinger in den Becher und malte sich einen dunklen Streifen auf die Stirn. Das Gleiche tat sie bei dem Eichenschamanen.
»Das Blut der Eule«, sagte sie in eigenartigem Singsang, »des feinen Gehörs wegen.«
»Und zum Schutz vor jenen, die dort wüten«, rezitierte der Eichenschamane.
Renn atmete auf. Das Blut der Eule … Demnach hatten die Seelenesser den Vogel getötet, wie es der Eisfuchsjunge angekündigt hatte. Aber wozu? Wer einen Jäger tötet, erzürnt den Weltgeist und stürzt sich selbst und seine ganze Sippe ins Unglück.
Renn suchte an einem Steinschössling Halt und stellte erschrocken fest, dass er unnatürlich warm war. Sie begriff sofort, woran das lag: an der glühenden Hitze, die in der Anderen Welt herrschte.
Und zum Schutz vor jenen, die dort wüten … Waren damit die Dämonen gemeint? Die Dämonen der Anderen Welt?
Wäre sie Torak doch bloß gleich gefolgt! Stattdessen war sie draußen auf und ab gestapft, wütend auf ihn und auf sich selbst. Bis sie sich schließlich zu einem Entschluss durchgerungen, ihren Bogen versteckt und genug Mut aufgebracht hatte, war er längst im Schlund der Höhle verschwunden.
Kurz darauf hatte Renn schwere Männerschritte vernommen. Sie hatte eben noch in die Höhle schlüpfen können, da tauchte auch schon ein wahrer Hüne auf, groß und massig wie ein Auerochse, das Gesicht hinter einem Gewirr aus Haupthaar und Bart verborgen. Auf dem Handrücken des Mannes erkannte Renn die Tätowierung des Eichenclans. Der Geruch von Fichtenblut hüllte ihn ein wie Nebelschwaden den Wald.
Staunend hatte sie zugesehen, wie er sich mit der Schulter gegen eine Steinplatte gestemmt hatte, die fünfmal so groß war wie Renn, und sie so mühelos vor den Höhleneingang geschoben hatte, als sei es ein zerbrechliches Weidengeflecht. Damit waren sie beide eingeschlossen. Renn war nichts anderes übrig geblieben, als dem Seelenesser durch die gewundenen Gänge zu folgen, wobei sie einerseits achtgab, ihm nicht zu nahe zu kommen, und andererseits von der Furcht getrieben wurde, sie müsste im Finstern allein bleiben.
Schließlich waren sie in dem steinernen Wald angelangt. Renn ahnte die Gegenwart schattenhafter, lauernder Gestalten. Sogar das Tropfen des Wassers klang lauernd. Am schlimmsten aber war das Flattern und Quieken unzähliger Fledermäuse. Ob
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