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Chronik der dunklen Wälder - Seelenesser: Band 3 (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Seelenesser: Band 3 (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Seelenesser: Band 3 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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Frauenstimme. »Willst du uns endlich deinen Ziehsohn vorführen?«
    Toraks Herz schlug höher. Die eine Seelenesserin hatte er täuschen können. Um auch die anderen hinters Licht zu führen, musste er seinen ganzen Einfallsreichtum aufbieten.
    Er kroch bäuchlings weiter und jammerte dabei: »Bitte nicht, bitte zwingt mich nicht, der Macht ins Antlitz zu schauen!«
    »Nicht schon wieder!«, ächzte Nef. »Der Bursche traut sich einfach nicht, mich anzusehen!«
    In Torak keimte eine schwache Hoffnung. Wenn der Eisfuchsjunge den Seelenessern noch nie sein Gesicht gezeigt hatte …
    Ein kalter Finger strich ihm über die Wange und er fuhr unwillkürlich zusammen. »Wenn er sich schon nicht traut, die Fledermausschamanin Nef anzublicken«, raunte ihm eine Frau ins Ohr, »traut er sich dann vielleicht, die Natternschamanin Seshru anzusehen?«
    Sie zog ihm die Kapuze vom Kopf, und er blickte in ein so vollkommenes Gesicht, wie er es noch nie gesehen hatte. Schräge, unergründlich blaue Luchsaugen, ein fast beängstigend schöner Mund, dunkles, aus der hohen weißen Stirn gekämmtes Haar, das ein breites, tätowiertes Band aus Pfeilspitzen entblößte wie die Zeichnung eines Schlangenleibs.
    Bezaubert und abgestoßen zugleich, begegnete Torak dem durchdringenden Blick, während ihn die Natternschamanin musterte wie ein Jäger seine Beute.
    Ihre lieblichen Züge ließen leise Verachtung erkennen, sonst nichts. Sie hatte ihn nicht erkannt. »Für einen Eisfuchs ist er aber ziemlich mager«, sagte sie. »Du enttäuschst mich, Nef. Da hast du uns einen kümmerlichen Burschen angeschleppt.« Ihre kalten Finger glitten in den Halsausschnitt von Toraks Jacke und sie lächelte. »Nanu! Er hat ein Messer dabei.«
    »Ein Messer?«, wiederholte die Fledermausschamanin erstaunt.
    Torak trug das Messer, das ihm Fin-Kedinn geschenkt hatte, samt der Scheide an einem Riemen um den Hals. Die Natternschamanin nahm ihm die Waffe ab und warf sie Nef zu.
    »Ein Messer hat der Kleine dabei!«, höhnte eine Männerstimme so dunkel und tief wie ein Eichenwald. Ein hünenhafter Schemen löste sich aus einem Winkel, und ehe sich Torak versah, hatte ihn der Unbekannte gepackt und ihm die Arme so grob auf den Rücken gedreht, dass er aufschrie.
    Das gab noch mehr Gelächter, beißend wie der stechende Geruch von Fichtenblut, von dem einem die Augen tränen. »Was glaubst du, Seshru, will er mich einschüchtern?«, spottete der Mann. In seinem weiten Rentierfellgewand schien er die ganze Höhle auszufüllen. »Hat er es etwa auf den Eichenschamanen abgesehen?«
    Der verängstigte Torak betrachtete das Gesicht des Seelenessers, dessen harte Züge an rissigen, von der Sonne ausgedörrten Erdboden erinnerten. Sein Bart glich wirrem Gestrüpp, das Haar war eine rotbraune Mähne, die Augen, mit denen er Torak durchbohrend ansah, waren leuchtend laubgrün. »Na, hast du es auf mich abgesehen?«, wiederholte der Eichenschamane lauernd.
    Torak kam sich so wehrlos vor wie ein vom Luchs in die Enge getriebener Lemming.
    »Lass ihn in Ruhe, Thiazzi!«, blaffte die Fledermausschamanin. »Sonst stirbt er noch vor Schreck und wir brauchen ihn lebendig!«
    Die Natternschamanin legte lachend den Kopf in den Nacken, dass man ihre weiße Kehle sah. »Arme Nef! Muss immer die Mutter spielen.«
    »Was verstehst du schon vom Muttersein?«, konterte Nef.
    Seshrus schön geschwungene Lippen wurden schmal.
    »Wollen doch mal sehen, was er uns mitgebracht hat.« Thiazzi riss Torak den Beutel aus der Hand, holte eine kleine, nicht ganz ausgewachsene Eule heraus und schüttelte sie, bis ihre Augen vor Angst ganz dunkel wurden. Von da an verabscheute Torak den Eichenschamanen Thiazzi, weil er sich daran ergötzte, Schwächere zu quälen.
    Der Fledermausschamanin schien das auch nicht zu gefallen. Sie schlurfte zu Thiazzi hinüber, nahm ihm die Eule weg und steckte sie wieder in den Beutel. »Die muss auch am Leben bleiben«, sagte sie unwirsch. Dann wandte sie sich an Torak, zeigte auf eine Birkenrindenschüssel, die auf dem Boden stand, und befahl ihm zu essen.
    Der erstaunte Torak sah, dass die Schüssel einen Streifen geräuchertes Pferdefleisch und ein paar Haselnüsse enthielt.
    »Mach schon«, drängte ihn Seshru mit falschem Lächeln. »Iss. Du musst bei Kräften bleiben.« Dabei schaute sie Thiazzi an, und Torak sah mit einem Seitenblick, dass dessen Augen belustigt funkelten.
    Torak tat so, als esse er, aber er bekam keinen Bissen herunter. Eben war er doch noch

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