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Chronik der dunklen Wälder - Seelenesser: Band 3 (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Seelenesser: Band 3 (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Seelenesser: Band 3 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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sich ihre Kleider. Diesmal lag sie nicht still, weil sie nicht mehr weiterwusste, sondern um sich kurz auszuruhen. Nur noch mit dem Beinleder bekleidet, war sie halb so umfangreich wie zuvor und konnte sich wie ein Aal durch den Gang schlängeln. Sie wollte zum Steinwald zurückkriechen und sich nach Torak und Wolf umsehen.
    Sie schob sich rückwärts, aber ihr Beinleder verfing sich an einer Felsnase. Zwar hatte sie sich bald wieder losgemacht, aber zu ihrer Überraschung summten die Bienen auf einmal zornig wie Hornissen. Was hatte das zu bedeuten? Waren die Bienen nicht damit einverstanden, dass sie umkehrte?
    Als sie die Hand ausstreckte, wurden ihre aufgeschürften Finger kühl. Das kam nicht vom verdunstenden Schweiß, sondern ein kalter Luftzug streifte ihre Hand, und kalte Luft konnte nur von draußen kommen.
    Renn stieß sich mit den Zehen ab und robbte wieder vorwärts. Der Gang führte leicht bergauf, aber da sie jetzt beweglicher war, kam sie auch besser voran. Sie konnte sich an Felsvorsprüngen festhalten und sich daran vorwärtsziehen.
    Aber sie war unschlüssig. Wenn sie diese Richtung einschlug  – wo immer der Gang hinführte –, bedeutete das auch, dass sie Torak im Stich ließ. Das konnte sie nicht machen! Sie musste ihren Freund aufklären, dass er als neuntes Opfer vorgesehen war.
    Trotzdem – wenn sie umkehrte, landete sie wieder in der Höhle der Seelenesser. Selbst wenn sie ihnen ausweichen konnte und Torak wiederfand, selbst wenn es ihnen beiden gelang, Wolf zu befreien und zum Eingang der Höhle zurückzufinden … wie sollten sie hinauskommen? Außer Thiazzi konnte niemand die mächtige Steinplatte bewegen.
    Renn kaute nachdenklich auf der Unterlippe.
    Wenn etwas schiefläuft, pflegte Fin-Kedinn zu sagen, ist es das Verkehrteste, überhaupt nichts zu unternehmen. »Manchmal muss man sich entscheiden, Renn. Vielleicht erweist sich die Entscheidung als richtig, vielleicht auch als falsch, aber es ist auf jeden Fall besser, als untätig zu bleiben.«
    Renn überlegte noch einen Augenblick, dann kroch sie weiter vorwärts.

Kapitel 21

    IM STEINWALD BEREITETEN die Seelenesser alles für die Suche nach der Pforte vor.
    Von ihrer Fledermaus umschwirrt, humpelte Nef hin und her, tauchte Fackeln in Kiefernblut und klemmte sie in Felsspalten. An Thiazzis Schläfen traten die Adern hervor, als er schwere Felsbrocken um den Opferstein legte. Seshru verfertigte drei Ledermasken, deren Augenschlitze mit Darmhaut hinterlegt waren, damit man unbeschadet in die Andere Welt schauen konnte. Eostra ließ sich nicht blicken.
    Torak fürchtete sich vor der Rückkehr der Eulenschamanin  – und konnte es doch kaum erwarten. Er musste sichergehen, dass sich alle vier Seelenesser in der Höhle aufhielten, ehe er sich davonstehlen und Wolf suchen konnte. Bis dahin spielte er den Lehrling und zerstieß Erdblut auf einer Steinplatte, während auf seiner Stirn das Eulenblut verkrustete.
    Als er den Vogel getötet hatte, hatte ihm Nef ihre schwere Hand auf die Schulter gelegt. »Gut gemacht. Damit hast du den ersten Schritt getan, einer von uns zu werden.«
    Das könnte euch so passen, hatte Torak gedacht.
    Ihm war bewusst, was Renn zu alledem gesagt hätte. »Wo soll das hinführen, Torak? Wie weit willst du noch gehen?«
    Er erinnerte sich an einen Streit mit Fin-Kedinn, als er den Rabenanführer vergeblich angefleht hatte, er möge ihn die Seelenesser suchen lassen.
    »Dein Vater hat versucht, sie zu bezwingen, und ist dabei ums Leben gekommen!«, hatte Fin-Kedinn gesagt. »Und da glaubst du, dass du mehr Erfolg hast?«
    Damals war Torak wütend gewesen, jetzt verstand er, was Fin-Kedinn gemeint hatte. Der Rabenanführer war nicht nur vor der Verworfenheit der Seelenesser zurückgeschreckt, sondern auch vor etwas, das in Torak selbst schlummerte.
    Irgendwann hatte ihm Fin-Kedinn die Geschichte vom allerersten Winter erzählt. »Der Weltgeist und der Große Auerochse, der mächtigste aller Dämonen, trugen einst einen erbitterten Zweikampf aus. Zu guter Letzt warf der Weltgeist den brennenden Dämon vom Himmel, aber dabei verteilte der Wind dessen Asche überallhin, und in jedes Geschöpf auf dieser Welt drang ein Körnchen davon. Wir alle tragen das Böse in uns, Torak. Mancher kämpft dagegen an, mancher nährt es noch. So ist der Mensch nun mal.«
    Daran musste Torak jetzt denken, an das schwarze Aschekörnchen, das in ihm selbst lauerte.
    »Bring mir das Erdblut«, befahl Seshru, und er fuhr zusammen.

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