Chronik der dunklen Wälder - Seelenesser: Band 3 (German Edition)
durchpasste, und die Decke wurde immer niedriger. Sie musste auf dem Bauch robben und sich mit den Ellbogen voranziehen.
Wie eine Eidechse schlängelte sie sich weiter. Als sie über die Schulter blickte, flackerte das gelbe Licht schon ganz nah, streifte beinahe ihre Stiefel. Sie war nicht weit genug drin, gleich würde das Licht sie treffen …
Sie bot alle Kraft auf und zog sich um eine Biegung – und im selben Augenblick beschien die Fackel ihre Stiefelsohlen.
Unter sich hörte sie einen Mann heiser atmen. Es roch beißend nach Fichtenblut.
Sie biss sich fest auf die Unterlippe.
Dann … von gegenüber … dumpf hastende Schritte.
»Das war nicht der Junge!«, schnaufte die Fledermausschamanin. »Der war die ganze Zeit in Seshrus Obhut!«
»Bist du sicher?«, fragte Thiazzi. Es klang erschreckend nah.
»Wahrscheinlich waren es die Fledermäuse.«
»Von nun an müssen wir jedenfalls besser aufpassen«, brummte Thiazzi.
Seine Stimme verklang, das Licht entfernte sich. Dunkelheit umgab Renn.
Ganz schwach vor Erleichterung, blieb sie liegen und hörte eine ganze Weile nur zu, wie die Seelenesser durch die Höhle tappten und sich leise unterhielten.
Irgendwann hörte sie nichts mehr. Die Seelenesser waren fort. Die Fledermäuse flatterten noch eine Weile umher, dann waren auch sie still. Renn blieb trotzdem noch liegen. Sie rechnete mit einem Hinterhalt.
Erst als sie so sicher war, allein zu sein, wie es unter den gegebenen Umständen überhaupt möglich war, kroch sie rückwärts wieder aus dem Gang heraus.
Ihre Kapuze verfing sich an der Decke und sie schob sich wieder ein Stück nach vorn … aber der Gang war zu niedrig, sie hatte nicht genug Bewegungsfreiheit.
Ärgerlich probierte sie es noch einmal. Und noch einmal. Sie versuchte, sich hin und her zu wälzen, aber es war einfach zu eng.
Sie lag auf dem Bauch und gab sich Mühe, ihre Lage zu begreifen. Sie hatte die Arme ungeschickt unter der Brust verschränkt und unter den Fäusten schlug ihr das Herz bis zum Hals.
Die Erkenntnis traf sie wie ein Hieb.
Sie steckte fest.
Kapitel 20
SIE ERWOG, um Hilfe zu rufen, aber das hätte bloß die Seelenesser herbeigelockt. Wie mochte es wohl sein, in diesem stinkenden Wieselloch zu verdursten? Ein schneller Tod oder ein langsamer – diese beiden Möglichkeiten blieben ihr.
Sie war schweißgebadet und ihr Angstgeruch tränkte die Luft. Sie hörte kein Wasser mehr tröpfeln, sondern nur noch ihren eigenen stockenden Atem und ein eigentümliches, unregelmäßiges »Bum-bum-bum«, im selben Takt wie ihr pochendes Herz.
Es war tatsächlich ihr Herz, begriff sie, ihr Herz, dessen Schläge in dem Felsgang widerhallten, so laut hämmerte es.
Auf einmal wurde sich Renn des ungeheuren, erschreckenden Gewichts bewusst, mit dem der Berg auf ihr lastete und das es ihr unmöglich machte, sich zu bewegen. Die Erde hatte sie verschlungen und konnte sie mit der leisesten Regung zerquetschen wie eine Laus.
Niemand würde je davon erfahren. Niemand würde ihre Gebeine einsammeln und in der Schädelstätte der Raben zur letzten Ruhe betten. Niemand würde ihr die Todeszeichen aufmalen, damit ihre Seelen beisammenblieben.
Die Finsternis bedeckte ihr Gesicht wie eine zweite Haut. Sie schloss die Augen. Öffnete sie wieder. Kein Unterschied. Sie zog eine Hand unter der Brust hervor und hielt sie vors Gesicht. Sie konnte ihre Finger nicht erkennen. Es gab keine Finger. Es gab keine Renn!
Sie bekam nicht genug Luft. Sie atmete tief und zittrig ein und der Fels schloss sich noch enger um sie.
Sie bekam Todesangst. Sie trat jammernd um sich, grub die Nägel ins Gestein und glaubte, in einer schwarzen Flut des Grauens zu ertrinken. Als sie sich ausgetobt hatte, lag sie erschöpft und reglos da und drückte den Mund auf den mitleidlosen Fels, damit man sie nicht wimmern hörte.
Tief unter der Erde gibt es keine Zeit. Keinen Winter, keinen Sommer, keinen Mond, keine Sonne. Dort herrscht ewige Finsternis. Renn lag so lange reglos auf dem Bauch, bis sie nicht mehr sie selbst war. Ein Winter nach dem anderen verstrich und sie wurde eins mit dem Berg.
Hinter dem Fels hörte sie das Hohngelächter der Dämonen. Lichter blinkten auf. Rote Augen glotzten sie an, kamen näher. Sie lag im Sterben. Bald wären ihre Seelen zerstreut und sie würde selbst ein Dämon, würde kreischend und schnatternd in der Gluthitze der Anderen Welt hocken und alles Lebendige verabscheuen und zugleich begehren.
Immer mehr Lichter
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