Chronik der dunklen Wälder - Seelenesser: Band 3 (German Edition)
Opfertieren, rammte die Fackel in einen Felsspalt und fiel auf Knie und Hände. Er erbrach sich, würgte einen schwärzlichen Galleklumpen aus. Die Tränen schossen ihm in die Augen, ihm drehte sich alles. Seine Seelen strebten von ihm fort.
Immer noch würgend, kroch er zu der Grube mit dem Eisbären. Unten tappten weiche Tatzen auf und ab.
Die Erinnerung überwältigte ihn. Der Wald in herbstlich blauer Abenddämmerung. Sein Vater, wie er über einen Scherz seines Sohnes lacht. Dann kommt auf einmal der Bär herangestürmt …
Nein!, ermahnte Torak sich. Denk jetzt nicht an Fa, denk an Wolf! Du musst Wolf suchen!
Zitternd schleppte er sich näher, legte die heiße Stirn auf die schwere Steinplatte, spähte durch den Spalt.
Augen wie blank geschliffener Feuerstein funkelten ihn an, grollendes Knurren ließ den Fels erbeben. Der Mut verließ ihn. Noch halb verhungert und geschwächt war der Eisbär unbezwingbar, waren seine Seelen zu stark.
Torak krümmte sich in neuerlichen Krämpfen, übergab sich …
… und kauerte mit einem Mal unten in der Grube, kniff die Augen zusammen, weil ihn das Licht blendete, das durch den Spalt kam. Ihm war heiß, entsetzlich heiß. Ein magerer Junge beugte sich zu ihm herunter und schwenkte ein noch blutiges Stück Fleisch. Der Geruch machte ihn rasend, war so überwältigend, dass er unablässig auf und ab wandern musste, bis ihm von dem harten Felsboden die Klauen wehtaten.
Gedämpfte Menschenstimmen ließen ihn kurz innehalten. Er fletschte die Zähne. Er kannte die Stimmen. Sie gehörten den Bösen, die ihn entführt hatten.
Als er sich an seine verlorene Heimat erinnerte, empfand er dumpfen Kummer. Man hatte ihm sein herrliches kaltes Meer genommen, worin weiße Wale schliefen und saftige Robben schwammen, den getreuen Wind, der ihm frischen Blutgeruch zutrug. Man hatte ihm sein Eis genommen, sein unendlich weites Eis, das ihm beim Jagen Deckung bot und ihn überall hintrug, das Eis, in dem er sein ganzes Leben verbracht hatte. Man hatte ihn an diesen grässlichen, heißen Ort verschleppt, wo es kein Eis gab, wo es von überallher nach Blut roch, aber nie eine Beute in Reichweite war.
Knurrend malte er sich aus, wie er die Köpfe der Bösen packte und zermalmte. Er würde ihnen die Bäuche aufreißen und sich an ihrem dampfenden Gedärm und der köstlichen, glitschigen Fettschwarte gütlich tun! Blutdurst wallte in ihm auf, und er brüllte, dass der Fels erzitterte. Er war der Eisbär, er fürchtete nichts und niemanden! Alles, ja, alles war seine Beute!
Unterdessen kämpften Toraks Seelen darum, die Oberhand zu gewinnen. Der Geist des Bären war der stärkste, der ihm je begegnet war. Noch nie hatten ihn die Empfindungen eines anderen Lebewesens derart überwältigt.
Torak bot seine ganze Willenskraft auf – und der Bär vergaß seinen Zorn auf die Bösen und widmete sich wieder dem Blutgeruch, den verführerisch duftenden Fährten, die aus seinem Gefängnis hinausführten wie die Schleifspuren, wenn er ein erbeutetes Walross über das Eis schleppte.
Ganz nah – zum Verrücktwerden nah – witterte er Luchs- und Otterblut, Fledermaus- und Menschenjungenblut, Vielfraßblut und Adlerblut. Er witterte auch einen Wolf, aber schwächer und weiter weg.
Die Wolfswitterung hatte einen üblen Beigeschmack, der ihn stutzen ließ … aber ein Bär, der eine Robbe durch die dickste Eisdecke wittert, konnte die Spur trotzdem mühelos aufnehmen.
Die Duftspur führte erst abwärts, bog dann nach der Seite seiner Schlagpranke ab und führte wieder bergauf, dorthin, wo es kühler wurde. Die Bösen kamen sich sehr schlau vor, dass sie den Wolf dort versteckt hatten, aber er würde ihn trotzdem aufspüren. Und wenn er erst wieder frei war und alle anderen getötet hatte, würde er auch den Wolf töten. Er würde ihn packen und so lange schütteln, bis er ihm das Genick gebrochen hatte …
Nicht!, rief Torak stumm.
Der große Bär blieb unschlüssig stehen, damit Toraks Seelen seinen mächtigen Leib wieder verlassen konnten. Torak hatte genug erfahren. Es war gelungen. Er wusste jetzt, wo die Seelenesser Wolf versteckt hielten.
Die Seelen des Bären waren übermächtig.
Torak konnte nicht mehr heraus.
Kapitel 25
RENN SCHNELLTE aus dem Wieselloch und purzelte kopfüber in den Schnee.
Nach dem warmen Bergesinneren stach ihr die Kälte wie ein Messer in die Lungen, aber das störte sie nicht. Sie drehte sich auf den nackten Rücken und schaute in den sternklaren
Weitere Kostenlose Bücher