Chronik der dunklen Wälder - Seelenesser: Band 3 (German Edition)
Gedanken fassen. Er wollte aufstehen, aber das unsichtbare Netz hinderte ihn daran.
Poch-Poch-Poch.
Der Fels zwischen den ausgestreckten Armen der Natternschamanin schien sich vorzuwölben!
Torak blinzelte ungläubig. Es musste am flackernden Fackellicht liegen …
Nein. Da war es schon wieder… als wollte jemand die Faust durch ein straff gespanntes Leder stoßen, bloß dass es sich hier um Stein handelte!
Er hatte sich nicht geirrt. Hinter dem Fels, in der lodernden Wirrnis der Anderen Welt, wollten sich die Dämonen endlich befreien. Blanke, blinde Köpfe drängten gegen das Gestein, dass es sich hob und senkte, klaffende Mäuler schnappten und sogen, spitze Klauen kratzten und schabten. Die Höhlenwand beulte sich aus und war mit einem Mal hauchdünn wie ein junges Blatt. Sie würde dem schrecklichen, unbändigen Drängen nicht mehr lange standhalten.
Die Eulenschamanin stand auf und reckte den Arm. Sie hielt einen geschwärzten Eichenstab, auf dem ein leuchtender Stein saß.
Die Seelenesser hielten in ihrem Tanz inne. »Der Feueropal!«, raunten sie.
Verwirrt und bezaubert fiel Torak auf die Knie. Der Stein tauchte die Höhle in rotes Licht, flackernd rot wie die heißeste Glut in der Feuerstelle, grellrot wie frisches Blut im Schnee. Auflodernd rot wie ein Sonnenuntergang und wie der Zornesblick des Großen Auerochsen im tiefsten Winter. Es war schön und schrecklich, war Verzückung und Qual – und die Dämonen verfielen vor lauter Gier in Raserei. Ihr Geheul ließ die Höhle erbeben und sie warfen sich mit doppelter Wucht gegen den Fels.
Torak wankte. Darauf beruhte also die geheime Macht der Seelenesser! Damit zwangen sie den Dämonen ihren Willen auf!
»Der Feueropal«, raunten sie, als die Eulenschamanin den Stab hochhielt und ein lautloser Sturm die Steinbäume peitschte.
Eichenschamane und Fledermausschamanin knirschten mit den Zähnen, bis ihnen schwärzlicher Schaum vor dem Mund stand, dann drückte die Natternschamanin die qualmenden Handflächen wieder an die Wand, warf den Kopf in den Nacken und jubelte: »Die Pforte – ist – gefunden!«
Sie wich wankend zurück, und Torak sah, dass sie mit den letzten beiden Handabdrücken einen Kreis vervollständigt hatte – und dass die Dämonen den Kreis im nächsten Augenblick sprengen würden.
Da ließ die Eulenschamanin den Feueropal sinken und verbarg ihn in ihrem Gewand … und das rote Licht erlosch. Die zum Zerreißen gespannte, gewölbte Felsoberfläche glättete sich. Das Geheul der Dämonen verebbte zu zornigem Schnaufen.
»Die Pforte ist gefunden«, zischelte die Natternschamanin noch einmal und sank ohnmächtig zu Boden.
Das unsichtbare Netz entließ Torak.
Er sprang auf und rannte davon.
Kapitel 24
TORAK STÜRMTE durch die unterirdischen Gänge, schürfte sich die Hände auf und schlug sich die Schienbeine an. Er stolperte, und die Fackel, die er aus dem Steinwald mitgenommen hatte, flackerte heftig. Als er sich wieder aufrichtete, streifte ein ledriger Flügel sein Gesicht. Er verkniff sich einen Schrei und hastete weiter.
Zweimal glaubte er, Schritte zu hören, aber wenn er stehen blieb, hörte er nur den Widerhall seiner eigenen Schritte. Er nahm nicht an, dass ihn die Seelenesser verfolgten. Wozu auch? Wo sollte er schon hin? Das Auge der Natter war verschlossen.
Er verscheuchte den Gedanken.
Flüchtige Bilder dessen, was er soeben mit angesehen hatte, blitzten vor seinem geistigen Auge auf. Wie die Dämonen ihre Schnauzen in die Felswand gebohrt hatten, um sie zu durchstoßen. Wie schön und schrecklich der Feueropal ausgesehen hatte.
Torak konnte es nicht fassen, dass ihn der Stein so in seinen Bann geschlagen hatte, dass er darüber Wolf vergessen hatte. Was für ein Zauber war da am Werke gewesen? War es seinem Vater ähnlich ergangen? Von Neugier verführt, von verhängnisvollem Wissensdurst – bis es irgendwann zu spät gewesen war?
Zu spät. Die Angst holte ihn wieder ein. Vielleicht war es für Wolf auch schon zu spät.
Im Laufen spuckte er die schwarze Wurzel in die Hand, biss sie durch, steckte eine Hälfte in seinen Medizinbeutel und kaute die andere. Von dem fauligen Nachgeschmack kam ihm die Galle hoch, aber er zwang sich, zu schlucken. Er hatte erlebt, was die Wurzel mit den Seelenessern angestellt hatte, jetzt wollte er ihre Wirkung für seine Zwecke nutzen.
Beängstigend rasch setzten die ersten Krämpfe ein. Die Hand auf den Magen gedrückt, torkelte Torak durch die Höhle mit den
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