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Chronik der Nähe

Chronik der Nähe

Titel: Chronik der Nähe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Pehnt
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würden wir
finden, ich würde dir etwas Schönes aussuchen oder du mir. Und ich hätte, schon
während wir all diese Dinge täten, eine Sehnsucht nach mehr, länger, öfter,
weil es gleich wieder vorbei wäre.
    Noch zwei Tage, ein Tag, noch ein paar Stunden, dann führe jede
wieder in ihre Stadt, als wäre nichts gewesen, das geht nicht, dann lassen wir
es lieber gleich vielleicht.

Donnerstag
    Wer schneidet jetzt deine Haare. Ist jemand dafür
zuständig. Für dein akkurat geschnittenes Haar, feines Haar, jede Woche frisch
geschnitten, jetzt schon mehr als eine Woche her: Es wird Zeit. Soll ich morgen
eine Schere mitbringen, oder macht es jemand in der Klinik, oder sollen wir
warten, bis du draußen bist, oder ist es vielleicht jetzt nicht so wichtig,
gibt es Wichtigeres, nein, es gibt nichts Wichtigeres. Die Handtasche und die Haare.
Die grauen Haare reiß ich raus, sagst du immer verschmitzt. Ja, wir werden
zusammen älter.
    Bescheiden, wie du es gelernt hast, ungeschminkt, kein Firlefanz,
nur ab und zu die grauen Haare raus: eine Kaktee, eine Distel, die nur selten
blüht und sogar im Schatten, die nicht viel braucht, jedenfalls keine Sonne,
sie wächst und wächst, aber sie sticht auch, ihre Blätter sind gesäumt von
Stacheln, ihre Blüten kannst du streicheln, aber ihre Blätter nicht. Besser gar
nicht anfassen.
    Manchmal hast du mich doch gestreichelt trotz der Stacheln und ich
dich auch, wir haben die Zähne zusammengebissen und uns gestochen und dann
wieder gestreichelt, mit dem Finger über die weichen Stellen, an den Blättern,
zwischen den gestachelten Rändern entlang.
    Ich weiß auch nicht, wo die Handtasche ist, liegt sie im Spind, hat
jemand sie unter dein Bett geschoben, niemand hält einen auf dem Laufenden: Es
muss doch jemand für die Handtaschen der Kranken zuständig sein. Schließlich
gehst du ohne Handtasche nirgendwohin , schwarzes
Leder, früher durfte ich sie ausräumen als Belohnung, ich weiß nicht mehr,
wofür: Pfefferminzbonbons, Taschentücher, einklappbarer Taschenkamm,
4711-Fläschchen, kleiner Notizblock, Kugelschreiber, kleiner Kalender, ein
schwarzer Stein von der griechischen Insel, etwas Sand kam immer
hinterhergerieselt. Es waren nicht die Sachen, die mich beglückten, es war das
Öffnen der Tasche: Ich klappte sie auf und sah hinein, nun war sie für mich
geöffnet, ein privater Eintritt, selten gewährt.
    Ich im siebten Monat: selbst eine pralle Tasche, die bald
aufklappt, kein Eingang, nur Ausgang.
    â€“ Mal gucken, wie das wird, freust du dich.
    â€“ Wer, ich, fragtest du.
    â€“ Mama, sagte ich mahnend, wer sonst.
    â€“ Ach, weißt du. Wenn es mich nur nicht Oma nennt.
    â€“ Wie soll es dich denn nennen.
    â€“ Nicht Oma.
    â€“ Aber es ist ja noch nicht mal geboren, es hat dich ja noch nicht
mal gesehen.
    â€“ Umso besser, sagst du, dann können wir das von Anfang an
klarstellen. Und weißt du, dieses Geschrei, was meinst
du, wie mir das noch in den Knochen steckt.
    Ich ducke mich, das will ich gar nicht hören, nie wieder eigentlich,
und langsam gehen wir weiter und schauen in die Schaufenster, die schon
erleuchtet sind. Zu Hause sinkst du seufzend auf den Küchenstuhl, deinen
Stammplatz. Ich setze mich zu dir, lege die Füße hoch, schwer und dick sind die
Fußgelenke, aber in unserem Wettstreit bin ich die Flinkere.
    â€“ Es geht dir schlecht, Mama, stimmt’s.
    â€“ Nein, so kann man das nicht sagen, nicht eigentlich schlecht, nur
nicht ganz so gut: nicht der Rede wert.
    â€“ Aber ich weiß doch, dass es dir schlecht geht, du bist krank, nun
sag schon, wie es dir geht, ist es der Kopf, du hast Kopfschmerzen, oder.
    â€“ Na, du siehst doch, so schlimm ist es gar nicht, oder seh ich etwa
so schlecht aus.
    â€“ Nein nein, eigentlich siehst du ganz gut aus, gar nicht alt: Wie
willst du eigentlich alt werden.
    â€“ Wieso fragst du, wieso jetzt diese Frage, sehe ich alt aus oder
was.
    Deine Falten um die Nase, feine Rillen auf der Stirn. Aber immer
noch dunkle Haare, wirklich echte dunkle Haare, akkurat geschnitten, und wenn
ein graues Har auftaucht, raus damit. Es tut kurz weh, aber wirklich nicht der
Rede wert, schon ist es weg, alles braun, dunkelbraun, echt ohne Tönung. Aber
wie du alt werden willst, weiß ich schon: mit Papa im Haus zwischen den Büchern
natürlich.
    â€“ Wieso fragst du überhaupt. Willst du mich

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