Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod
faulig riechenden Wasser der Kanäle, aber das war dann auch schon das einzig Angenehme, mit dem seine Umgebung aufwarten konnte. Einen der beiden Männer erkannte er wieder: Es war der schweigsame, der Abu Dun und ihn am ersten Morgen ins Spital zu Scalsi gebracht hatte.
Andrej fragte sich, warum er nicht schon längst darauf gekommen war. »Ich nehme an, Ihr sollt mich zu meinem unbekannten Wohltäter bringen?«, fragte er.
Seinem grauhaarigen Gegenüber war nicht anzusehen, ob er den Spott in diesen Worten zur Kenntnis nahm. »Wenn Ihr mir folgen wollt, Signore Delãny«, sagte er nur.
»Und wohin?« Andrej rührte sich nicht von der Stelle.
»Es ist nicht weit, Signore«, antwortete der Dunkelhaarige. Sein Begleiter sah Andrej nur misstrauisch (und aus sicherem Abstand) an und schwieg. Auch er kam ihm vage bekannt vor, aber er konnte nicht sagen, woher. »Und meine … mein Herr hat mir verboten, Euch mehr zu sagen.«
»Was für eine Überraschung.« Andrej bedeutete den beiden Männern mit einer fast resignierten Geste vorauszugehen.
Es war tatsächlich nicht besonders weit, und schon bald wurde der Weg wieder zu einem schmalen Streifen, neben dem das brackige Wasser eines der zahllosen Kanäle floss, die die Stadt unterteilten. Obwohl sich das Gefängnis in einem Seitenflügel des Dogenpalastes und somit des größten Gebäudes der ganzen Stadt befand, war der Kanal so schmal, dass die prachtvoll verzierte schwarz-goldene Gondel kaum hineinzupassen schien.
Andrej stockte und fragte sich gleich darauf, warum eigentlich – es hätte ihn eher überrascht, wenn ein schlichteres Gefährt auf ihn gewartet hätte.
Sein Führer blieb dicht neben ihm stehen und machte eine auffordernde Geste mit der Linken. Die andere Hand lag ganz und gar nicht zufällig auf dem Schwertgriff. »Bitte, Signore. Wir warten hier.« In seiner Stimme lag vielleicht noch keine Drohung, aber eindeutig eine Warnung.
Wortlos ging Andrej weiter, trat behutsam in das Boot hinab, das unter seinem Gewicht heftig zu schaukeln begann, und öffnete – vielleicht zu hastig – die Tür des ebenfalls ganz in glänzendem Schwarz und Gold gehaltenen Aufbaus, der gut die Hälfte der gesamten Bootslänge in Anspruch nahm.
»Contessa«, sagte er nicht sonderlich verwundert. »Was war ich nur für ein Dummkopf.«
»Ich werde mich hüten, Euch zu widersprechen, Signore Delãny«, antwortete Corinna. »Und darüber hinaus finde ich es ungehörig, mir so die Freude zu verderben. Könnt Ihr nicht wenigstens so tun, als wärt Ihr überrascht?«
»Das bin ich«, antwortete Andrej, zog die Tür hinter sich zu und ließ sich auf die gepolsterte Bank auf der anderen Seite sinken, bevor er hinzufügte: »Dass ich es nicht schon sehr viel früher gemerkt habe.«
»Und außerdem bist du ein unmöglicher Mensch«, sagte Corinna, bedachte ihn mit einem scheinbar ärgerlichen Blick und schlug dann mit der flachen Hand gegen die Decke. Das Boot bebte sacht, als die beiden Männer ebenfalls in den Rumpf hinabsprangen, und nur wenige Augenblicke später setzte sich die Gondel mit einem sanften Ruck in Bewegung.
»Sie haben dir doch nichts getan, oder?«, fragte Corinna.
»Das hätte Signore Rezzori nicht gewagt«, antwortete Andrej. »Ich vermute aus Angst, dass er es dann mit dir zu tun bekommt.«
»Und das mit Recht«, erwiderte sie – mit einem Blick und einem spöttischen Lächeln, in dem doch gerade genug Ernst lag, dass Andrej sich fragte, ob er sie womöglich immer noch unterschätzte.
Und möglicherweise auch jetzt nicht einmal eine Ahnung davon hatte, wer sie wirklich war.
Das Boot zitterte heftiger, und Andrej spürte, wie etwas unter dem flachen Rumpf entlang schrammte und es erst nach ein paar Augenblicken und fast widerwillig freigab. Er zog die bestickte Gardine vor dem Fenster zurück, sah aber nichts als von Schimmelflechten überzogenes Mauerwerk, das dicht genug vorüberglitt, um es mit dem ausgestreckten Arm zu berühren. »Wohin bringt Ihr mich, Contessa?«, fragte er.
»Zum Palazzo meiner Familie«, antwortete Corinna. »Und hör auf, mich Contessa zu nennen. Selbst wenn ich es wäre, würde ich es nicht mögen, und ich bin es nicht.«
»Obwohl der Dottore es doch so hartnäckig behauptet?«
»Meine Familie ist sehr wohlhabend, und sie verfügt auch über einen gewissen Einfluss in der Stadt«, antwortete Corinna. »Aber wir sind nicht adelig und waren es auch nie. Dies ist Venedig, Andrej. Hier muss man Macht nicht erben.«
»Das
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