Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod
das ist alles. Aber Ihr solltet Euch dennoch nicht zu sicher fühlen.
Manchmal ändern sich die Dinge schneller, als man glaubt, wisst Ihr?«
Andrej beschloss, diese nicht einmal mehr im Ansatz verhüllte Drohung zu ignorieren. »Und wie genau lauten Eure Befehle«, fragte er, »Abu Dun betreffend, meine ich?«
»Ich wüsste nicht, was sie Euch angingen«, antwortete Rezzori unfreundlich, fuhr dann aber trotzdem fort: »Aber bitte: Euer Freund bleibt bis nach dem Carnevale in Gewahrsam. Ich habe den Befehl, Euch und ihn danach bis zur Grenze zu begleiten und dafür zu sorgen, dass Ihr Venedig unbeschadet verlassen könnt. Zusammen mit Eurem Sohn.«
»Das halte ich für keine gute Idee«, sagte Andrej.
»Dafür zu sorgen, dass Ihr die Stadt unbeschadet verlassen könnt?«
Wenn Rezzori sich vorgenommen hatte, ihn zu provozieren, musste er sich schon etwas Besseres einfallen lassen. »Abu Dun so lange hier einsperren zu wollen. Er ist nicht sehr geduldig.«
»Da wäre er nicht der Erste«, erwiderte Rezzori kühl. »Wir verfügen über eine gewisse Erfahrung, was das angeht.«
Das glaubte Andrej gerne. Aber er hatte ganz gewiss keine Erfahrung mit einem Gefangenen wie Abu Dun. »Dann lasst mich wenigstens mit ihm reden«, sagte er.
»Wozu?«
»Vielleicht, um es ihm leichter zu machen«, antwortete Andrej. »Und Euch und Euren Leuten. Abu Dun lässt sich ungern einsperren. Euch kann nicht daran gelegen sein, mehr Ärger als unbedingt notwendig zu haben. Ich kann ihn sicher davon überzeugen, sich für wenige Tage zu gedulden.«
Jetzt las er Hass in Rezzoris Augen – oder wenigstens etwas, das er dafür hielt. Er musste an die zornigen Stimmen denken, die er gerade durch die Tür gehört hatte. Wenn Rezzori auch nur halbwegs der Mann war, für den er ihn hielt, dann nahm er ihm diese Niederlage persönlich übel.
Seltsamerweise machte ihm das Rezzori eher sympathischer. Wenn auch nicht viel.
»Irgendetwas sagt mir, dass ich Euch nicht trauen sollte, Signore Delãny«, sagte Rezzori. »Ist dieses Gefühl berechtigt?«
»Nein«, antwortete Andrej. »Oder vielleicht doch, wenn auch anders, als Ihr glaubt.« Er stand – unaufgefordert – auf. »Es ist alles sehr viel komplizierter, als Ihr auch nur ahnt. Darf ich jetzt Abu Dun sehen?«
Rezzori dachte einen schier endlosen Moment über seine Frage nach und reagierte schließlich mit einer Bewegung, die irgendwo zwischen einem Schulterzucken und einem trotzigen Nicken lag. »Ich lasse Euer Gepäck und Eure Waffen bereitlegen. Und lasst Euch nicht zu viel Zeit.«
Und damit stand er auf und stürmte hinaus, um Andrej allein zu lassen, wenn auch nur für wenige Augenblicke. Schwere Schritte näherten sich, und derselbe Mann, der ihn hereingeführt hatte, erschien in der Tür und bedeutete ihm wieder mit einer wortlosen Geste, ihm zu folgen.
Abu Duns Zelle lag am Ende desselben Ganges, auf dem auch er festgehalten worden war, und wie es aussah, musste sich auch der Nubier nicht über mangelnden Respekt beklagen: Vor seiner Zelle standen gleich zwei Männer, der eine auf eine hoffnungslos veraltete, aber beeindruckende Hellebarde gestützt, der andere mit einer Muskete bewaffnet, die aber nicht einmal geladen war. Andrej heuchelte dennoch den Beeindruckten, und die beiden Männer gaben den Weg frei.
Die Zelle war tatsächlich etwas Besonderes. Hinter der Tür aus schweren Bohlen empfing ihn ein Gitter aus daumendicken rostigen Eisenstäben, das vermutlich selbst Abu Duns gewaltigen Körperkräften standgehalten hätte (wäre er ein normaler Mensch gewesen). Auch das Fenster war vergittert, obwohl es kaum groß genug war, um zwei geballte Fäuste nebeneinander hindurchzuschieben. Der Nubier saß mit untergeschlagenen Beinen auf dem Boden und schien zu schlafen; jedenfalls zeigte er nicht die mindeste Reaktion, als Andrej eintrat. Erst als sein wortkarger Führer die Zelle verlassen und das Gitter sorgsam wieder hinter sich verriegelt hatte, hob er den Kopf und öffnete scheinbar träge die Augen. »Oh«, sagte er. »Hoher Besuch. Sind sie schon dabei, den Scheiterhaufen aufzuschichten?«
»Sprich Arabisch«, sagte Andrej in der benannten Sprache.
Abu Dun schnaubte nur abfällig und bedachte ihn mit einem Blick, über dessen genaue Bedeutung Andrej lieber erst gar nicht nachdachte, wechselte aber dennoch gehorsam in seine Muttersprache. »Hat dir unser freundlicher Gastgeber mittlerweile verraten, was man uns vorwirft?«
»Nichts«, antwortete Andrej. »Im
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