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Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod

Titel: Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wlofgang Hohlbein
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jetzt fiel Andrej auf, dass er keinen zierlichen Spielzeugdegen trug, wie sie in dieser Stadt allgemein in Mode waren, sondern ein kurzes Schwert mit breiter Klinge, das ihm mehr über den kämpferischen Ehrgeiz dieses Mannes verriet, als dieser ahnen mochte.
    Auch die Tür am Ende des Korridors öffnete sich wie von selbst, als Corinna sie fast erreicht hatte, doch dieses vermeintliche Wunder fand eine Erklärung, als Andrej ihr folgte und ein kahlköpfiges altes Männchen in einer zerschlissenen Livree entdeckte, das alle Mühe hatte, die schweren Türflügel überhaupt zu bewegen. Schwer schnaufend und mit gesenktem Haupt zog er die Tür hinter sich wieder zu, und sie waren allein.
    Andrej drehte sich einmal im Kreis und nickte Corinna anerkennend zu. Auch dieser große Raum war luxuriös möbliert – zugleich aber so verspielt, als hätte sich seine Bewohnerin nicht entscheiden können, ob es nun noch das Zimmer eines jungen Mädchens oder schon das einer erwachsenen Frau sein sollte. Es gab mehrere bequeme Sitzgelegenheiten, Tische und verspielte kleine Schränkchen, aber auch ein riesiges Himmelbett, dessen Baldachin mindestens drei Meter hoch war, wenn nicht mehr, und gleich daneben ein kunstvoll gestaltetes, offenes Puppenhaus. In einem gewaltigen Kamin an der gegenüberliegenden Wand prasselte ein großes Feuer, das den Raum mit anheimelnder Wärme erfüllte und Andrej erst im Nachhinein spüren ließ, wie kalt es draußen gewesen war. Vielleicht zum ersten Mal, seit sie in dieser Stadt angekommen waren, roch die Luft nicht nach fauligem Wasser und Abfällen, sondern angenehm und frisch nach Blüten, die er nicht einordnen konnte. Und da war noch etwas, ein ganz sachter Duft, den er sofort mit der Erinnerung an Corinnas warme Umarmung und das Gefühl ihrer seidigen Haut unter seinen Fingern in Verbindung brachte.
    »Willkommen in meinem bescheidenen Zuhause, Signore Delãny.« Corinna vollführte eine spielerische anderthalbfache Pirouette, an deren Ende sie mit ausgebreiteten Armen stehen blieb und ihn so voll Stolz ansah, dass er beinahe resigniert den Kopf geschüttelt hätte. Sie war eindeutig eine Frau, die alles hatte, was eine Frau brauchte, um einen Mann zu betören, und doch war sie wie ein kleines Mädchen, das einem neuen Freund stolz seine Schätze zeigte. Und genau das war es, was er so sehr an ihr liebte.
    »Du lebst hier ganz allein?«, fragte er.
    Er konnte es ihr ansehen, dass sie etwas anderes hatte hören wollen, doch sie versuchte, ihre Enttäuschung zu verhehlen, und hob nur mit einem schiefen Lächeln die Schultern. »Mit einem halben Hundert Zofen, Dienern, Köchen und Schranzen … oh ja, und meine beiden grimmigen Gouvernanten nicht zu vergessen, die draußen vor der Tür stehen und über meine Tugend wachen.«
    »Wenn das tatsächlich ihre Aufgabe ist«, sagte Andrej, »dann haben sie kläglich versagt.«
    »Das will ich doch hoffen!« Corinna lachte. »Schließlich bezahle ich sie fürstlich dafür, sich jeden Tag neue harmlose Erklärungen dafür einfallen zu lassen, wo ich gewesen bin und was ich getan habe.«
    »Damit dein Vater und deine Mutter nicht erfahren, womit du deine Zeit wirklich verbringst?«, vermutete Andrej. Er fragte sich, warum er Zeit mit diesem Geplänkel vergeudete. Selbst jetzt, wo ihm eigentlich der Sinn nach anderem stehen sollte, genoss er Corinnas bloße Gegenwart, auch wenn es beileibe nicht der richtige Moment war.
    Und wie es aussah, waren es auch nicht die richtigen Worte gewesen. Corinnas Stirn umwölkte sich. »Oh, ich verstehe«, sagte sie spitz. »Du glaubst, ich wäre ein kleines Mädchen, das mit einem goldenen Löffel im Mund geboren worden ist und den Reichtum seiner Eltern benutzt, um sich ein schönes Leben zu machen?«
    Selbst wenn es so gewesen wäre, wäre es ihm egal. Trotzdem fragte er: »Bist du das nicht?«
    Corinna hob nur die Schultern, aber er hatte den Eindruck, sie verletzt zu haben. Ärgerlich streifte sie den Mantel ab und ließ ihn einfach zu Boden fallen. Andrej wartete darauf, dass sie ihm nun endlich verriet, warum sie ihn hierhergeführt hatte. Stattdessen legte sie nur den Kopf schräg und sah ihn auf eine Art an, die ihn in jedem anderen Augenblick erfreut hätte. Aber auch dafür war jetzt keine Zeit.
    »Du wolltest mir etwas Bestimmtes zeigen«, erinnerte er sie schließlich.
    Corinna sah ihn weiter an, auf eine Art, die ihn verwirrte, dann nickte sie bedächtig, seufzte noch einmal tief und kam wieder zu ihm zurück,

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