Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod
kam auf den Zoll genau vor einer dreistufigen Marmortreppe zum Halten, sodass sie trockenen Fußes nach oben gelangten. Ihre beiden Begleiter folgten ihnen gerade noch nahe genug, um nicht bedrohlich zu wirken, aber auch nicht einmal annähernd weit genug, ihn ihre Gegenwart vergessen zu lassen. Wenn sie tatsächlich Corinnas Leibwächter waren, wie er inzwischen vermutete, dann erfüllten sie ihre Aufgabe gut – wenn auch alles andere als dezent.
Aber vermutlich sollten sie das auch gar nicht.
Dieser Gedanke führte zu einem anderen. Er blieb stehen, drehte sich zu den beiden Männern um und maß den zweiten Burschen mit einem nachdenklichen Blick. »Ich hoffe, ich habe Euch nicht zu sehr wehgetan«, sagte er. »Wenn ich gewusst hätte …«
Der Mann wich Andrejs Blick aus. »Ich weiß nicht, wovon Ihr sprecht, Signore.« Da Andrej ihn nicht unnötig in Verlegenheit bringen wollte, setzte er nicht nach, doch als sie den Raum verließen, um eine schmale Treppe hinaufzugehen, raunte er Corinna zu: »Dir muss entweder wirklich viel an einem kleinen Abenteuer gelegen sein, oder deine Bediensteten sind dir nicht viel wert.«
Corinna bedachte ihn mit einem schrägen Blick. »Also, um ehrlich zu sein, hatte ich ihnen befohlen, dir nicht allzu wehzutun.«
»Hattest du?«
»Ja«, seufzte Corinna. »Aber ich danke dir trotzdem, dass du keinen von ihnen getötet hast. Und keine Angst um Franco. Ich habe den besten Arzt der Stadt kommen lassen, um sein gebrochenes Handgelenk zu versorgen. Er wird wieder vollkommen gesund.«
Als Corinna die Tür am Kopf der Treppe öffnete, vergaß Andrej die Frage, die ihm auf der Zunge gelegen hatte, und staunte.
Nachdem bereits die Anlegestelle mit Marmor ausgekleidet war, hatte er mit etwas Beeindruckendem gerechnet, aber die Halle, die sie betraten, war von schlichtweg gigantischen Ausmaßen. Auf dem mit kostbarem Mosaik gefliesten Boden hätte sich so manches Haus, in dem er in seinem langen Dasein gelebt hatte, schlicht verloren. Marmorne Säulen, dicker als die meisten Bäume, trugen eine gewaltige Kuppeldecke, und das farbige Glas zahlreicher großer Fenster verwandelte das Sonnenlicht in flirrende Regenbogen, die dem Raum fast etwas Märchenhaftes verliehen.
»Ihr habt nicht übertrieben, Contessa«, sagte er. »Das ist eindrucksvoll.«
»Na, das ist ja wohl auch das Mindeste, was ich von Euch erwarten kann, nachdem Ihr mir schon meine erste Überraschung verdorben habt«, neckte ihn Corinna. »Und das ist noch längst nicht alles. Wartet ab, bis Ihr die eigentliche Überraschung seht, die ich für Euch vorbereitet habe, Signore Delãny.« Sie lachte, aber Andrej spürte auch die Unsicherheit, über die dieses Lachen hinwegtäuschen sollte.
»Komm!« Corinna hakte sich bei ihm unter. »Ich zeige dir meine Zimmer. Ich wette, sie gefallen dir besser als deine Dachkammer in der Fisola.«
Sie hakte sich bei ihm unter und hüpfte los wie ein übermütiges Kind. Andrej stolperte hinter ihr her auf die gewaltige Freitreppe am anderen Ende der Halle zu. Eine junge Frau in der Kleidung einer Zofe kam ihnen entgegen und blieb auf halber Hohe der Treppe stehen, um einen tiefen Knicks zu vollführen. Corinna lächelte ihr zu und zog ihn nur noch ungestümer mit sich. Hinter ihnen donnerten die schweren Stiefel der beiden Männer auf den Marmorstufen, die ihrer Herrin getreulich, aber eine Winzigkeit langsamer folgten. Die Männer fielen zurück, und auch das war gewiss kein Zufall.
Sie gingen einen langen Flur entlang, dessen Dimensionen und Ausstattung jedem Schloss zur Ehre gereicht hätten. Weitere Bedienstete kamen ihnen entgegen und wichen Corinna und ihm in respektvollem Bogen aus oder blieben gar stehen, um sich zu verbeugen. Andrej fragte sich abermals, wer Corinna wirklich war und welche Stellung ihre Familie in dieser Stadt innehatte. Schließlich war seine Geduld erschöpft. Er blieb stehen. »Du wolltest mir etwas zeigen?«
Corinna ging weiter – wenn auch langsamer – und deutete auf eine große, zweiflügelige Tür am Ende des breiten Korridors; wie es Andrej vorkam, eine halbe Meile entfernt. »Dort«, sagte sie. »Geduldet Euch nur noch einen kleinen Moment, Signore Delãny. Ich verspreche Euch, es lohnt sich.«
Andrej warf einen Blick über die Schulter zurück, bevor er ihr widerwillig folgte. Die beiden Wächter waren weiter zurückgefallen, behielten ihn aber dennoch aufmerksam im Auge, und die Hand des Grauhaarigen lag nach wie vor auf dem Schwertgriff. Erst
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