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Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod

Titel: Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wlofgang Hohlbein
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altern nicht, und wir sterben nicht. Wenigstens nicht so wie ihr. Und es ist nur sehr schwer möglich, uns zu töten. Aber keiner weiß wirklich, warum das so ist. Manche von uns behaupten, es zu wissen, aber das ist nicht wahr. Niemand weiß es. Ich weiß nicht einmal, ob es ein Geschenk oder ein Fluch ist.«
    Er konnte hören, wie Corinna aufstand und näher kam, aber auf halber Strecke stehen blieb. »Keine Fragen mehr«, sagte er. »Bitte!«
    Nach kurzem Zögern ging Corinna schweigend weiter, ließ sich neben ihm in die Hocke sinken und streckte wie er die Arme aus, schrak aber dann mit einem Keuchen zurück, lange bevor ihre Finger den Flammen auch nur halb so nahe kamen wie die Andrejs.
    »Sei lieber vorsichtig«, sagte er.
    »Du bist ein schlechtes Beispiel, Andrej«, erkläre Corinna mit einem nervösen Lächeln. »Das passiert dir sicher oft.«
    »Was?«
    »Dass die Leute, wenn sie nur genug Zeit in deiner Gesellschaft verbringen, vergessen, dass sie nicht unverwundbar sind wie du?«
    »Als du mich vorhin geschnitten hast«, erwiderte Andrej beinahe sanft, »habe ich da geblutet?« Und dann streckte er die Hand direkt in die lodernden Flammen, bis ihm der Gestank von schmorendem Fleisch in die Nase drang und der Schmerz ihm die Tränen in die Augen trieb. Er zog die Hand zurück und zeigte ihr seine mit roten Brandblasen übersäte Hand. Corinna riss die Augen auf, als zuerst die Brandblasen und dann die intensive Rötung seiner Haut verschwanden. »Und wir fühlen auch Schmerz, genau wie jeder andere. Man gewöhnt sich nie daran.«
    Corinna griff nach seinem Arm und berührte seine nun wieder unversehrten Fingerspitzen mit den Lippen. Der Schauer, der jetzt über seinen Rücken rieselte, hatte nichts mehr mit der Kälte zu tun, die sich im Gefolge der Wärme des Kaminfeuers heranschlich. »Tu das nicht!«, sagte er ernst – obwohl alles in ihm darum flehte, dass sie nicht aufhören möge, weder jetzt noch morgen oder überhaupt irgendwann.
    »Gefällt es dir nicht?«, fragte sie.
    »Ich muss gehen«, sagte er. »Glaub mir, ich wünsche mir nichts mehr, als bei dir bleiben zu können, aber es geht nicht. Du hast ja selbst miterlebt, was hier alles passiert ist, seitdem wir angekommen sind. Du wärst in Gefahr und viele andere Menschen auch.«
    »Ich habe keine Angst«, sagte Corinna trotzig. »Und alles andere wird sich schon fügen.«
    Andrej schloss einen Herzschlag lang die Augen. Er glaubte, Marius vor sich zu sehen, so nah und plastisch, als stünde er ihm gegenüber. Vielleicht finden wir ja wirklich in Konstantinopel jemanden, der dir helfen kann, dachte er. Laut sagte er nur: »Ich muss fort.«
    »Und du kommst nicht zurück«, sagte sie traurig.
    Andrej schüttelte wortlos den Kopf und rechnete mit Widerspruch, aber sie nickte nur traurig und sah in die Flammen, an denen sie sich gerade fast verbrannt hätte. »Beantwortest du mir noch eine allerletzte Frage?«, bat sie. »Sagst du mir, wie alt du wirklich bist?«
    Nachdem er ihr nun schon so viel anvertraut hatte, kam es darauf vermutlich auch nicht mehr an. Und wer würde ihr schon glauben? »Über dreihundert Jahre«, sagte er.
    »Dreihundert Jahre.« Corinna stand auf. »Das ist eine lange Zeit. Da musst du viele junge Frauen kennengelernt haben – Frauen, die wie ich kaum zwanzig waren und dann älter und älter wurden, während du selbst einfach immer der Gleiche geblieben bist. Und da soll ich dir wirklich glauben, dass du tief in deinem Herzen etwas für mich empfindest?«
    Andrej drehte sich in der Hocke um, um zu ihr hochzusehen. Er schwieg. Corinna wandte sich abrupt ab, aber nicht schnell genug, um den Schmerz zu verbergen, der sich plötzlich auf ihren Zügen zeigte.
    »Du bist doch noch so jung«, sagte er. »Du solltest jeden Tag genießen. Es ist schnell vorbei – egal, wie lange man auch immer lebt. Genieße den Augenblick, Corinna!«
    Corinna erwiderte nichts, und Andrej fragte sich, ob sie seine Worte überhaupt gehört hatte. Sie war an das übergroße Puppenhaus getreten, mit dem Rücken zu ihm. Doch er musste ihr Gesicht nicht sehen, um zu vermuten, dass sie weinte.
    Behutsam stand er ebenfalls auf und trat neben sie, war aber taktvoll genug, sie nicht anzusehen.
    »War das deines?«, fragte er.
    »Es ist noch gar nicht so lange her, dass ich damit gespielt habe«, bestätigte Corinna. Sie streckte die Hand aus, um das beinahe mannsgroße Puppenhaus zu berühren, doch dann schien es, als wagte sie es nicht. Andrej sah

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