Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod
Wissen, viel zu lange geschlafen zu haben – mindestens eine Stunde, wenn nicht länger. Auf seinem rechten Arm lag eine federleichte Gestalt und kuschelte sich an seine Seite. Er spürte, dass er beobachtet wurde. Als er die Augen aufschlug, begegnete er Corinnas Blick. »Und ich dachte schon, du wirst gar nicht mehr wach«, sagte sie. »Bist du so erschöpft? Du willst mir doch nicht etwa weismachen, dass ein verwöhntes kleines Mädchen wie ich einen so großen Helden wie dich geschafft hat?«
»Das solltest du doch besser wissen als ich«, antwortete er, immer noch ein wenig benommen und auf eine angenehme Weise müde. Am liebsten hätte er die Augen gleich wieder geschlossen. »Und ob«, bestätigte Corinna. »Und wenn mich meine Erinnerung nicht gänzlich täuscht, dann hast du mich die ganze Arbeit machen lassen und dich selbst so gut wie gar nicht gerührt. Also erzähl mir nicht, du wärst müde.«
Andrej erinnerte sich an die Stunde, bevor er eingeschlafen war, und musste der Ehrlichkeit halber nicken. »Das stimmt«, sagte er. »Und ich finde, du hast das ganz gut gemacht.«
»Ganz gut?!«
»Vielleicht musst du noch ein bisschen üben, aber du hast Talent«, sagte Andrej. »Ich könnte mich daran gewöhnen.«
»Ja, darauf wette ich.« Corinna streckte ihm die Zunge heraus, setzte sich mit einem Ruck auf und zog dann in scheinbarer Schamhaftigkeit das dünne Seidenlaken bis zu den Schultern hoch.
»Warum hast du mich nicht geweckt?«, fragte er.
»Weil ich dir gerne beim Schlafen zusehe«, antwortete Corinna. »Man lernt eine Menge über einen Mann, wenn man ihn beim Schlafen beobachtet, wusstest du das nicht?«
»Ich beobachte selten Männer beim Schlafen.«
»Aber das solltest du«, sagte sie ernsthaft. »Ich weiß zum Beispiel, dass du dieses Mal nicht von deinem Sohn geträumt hast.«
Andrej nickte überrascht. »Ist das noch eines Eurer verborgenen Talente, Signorina?«, fragte er. »Könnt Ihr meine Gedanken lesen?«
Statt zu antworten, fragte Corinna: »Könnte ich es, wenn ich so wäre wie du?«
»Nein.« Andrej setzte sich auf und war kurz versucht, sie in die Arme zu schließen, drehte sich dann aber um, um die Beine vom Bett zu schwingen. Er fröstelte, als er die trotz des hoch lodernden Kaminfeuers kalten Fliesen an den Fußsohlen spürte.
»Und es wäre auch gar nicht nötig gewesen.« Es raschelte, als zarte Seide von nicht minder zarter Haut glitt. Er schauderte erneut, als sie sich hinter ihn kniete und er das Kitzeln ihres Haars im Nacken spürte und ihren warmen Atem an seinem Hals.
»Du hast das erste Mal, seit ich dich kenne, wirklich friedlich ausgesehen.«
»Vielleicht war ich einfach nur erschöpft«, sagte er.
Corinna schüttelte heftig den Kopf, und das Kitzeln in seinem Nacken wurde stärker. Zärtlich küsste sie seine Wange, genau dort, wo ihn die Messerklinge getroffen hatte und keine Narbe war.
»Wirst du mir jetzt verraten, was dein Geheimnis ist?«, fragte sie.
»Kennst du es denn nicht schon?«
»Ich weiß, was du nicht bist«, antwortete sie. »Aber ich weiß nicht, was du bist.«
»Doch das ist schon mehr, als du wissen solltest.«
»Wie dramatisch«, sagte Corinna. Sie biss ihm spielerisch ins Ohrläppchen, und Andrej drehte schnell den Kopf weg. Spöttisch fuhr sie fort: »Musst du mich jetzt töten, wo ich dein großes Geheimnis entdeckt habe?«
Sie versuchte ihn erneut auf die Wange zu küssen, doch er wehrte sie ab und hielt zugleich ihre Hand fest. »Nein, das muss ich nicht«, sagte er sehr ernst, »und das werde ich auch nicht. Aber du hast dennoch großes Glück. So manch anderer meiner Art hätte dich getötet.«
»Dann gibt es also noch mehr wie dich? Und wie deinen Freund?«
»Ja«, antwortete Andrej. »Nicht sehr viele, aber es gibt noch andere.« Bevor sie noch weitere Fragen stellen und er ihr noch mehr Antworten geben konnte, ließ er ihr Handgelenk los und stand auf. Er schlang sich die Decke um die Hüften, bevor er an den prasselnden Kamin trat. Die Flammen verströmten eine schon fast unangenehme Wärme, und dennoch fror er mit einem Mal. Er ließ sich in die Hocke sinken und streckte die Arme aus bis seine Finger die gierig züngelnden Flammen beinahe berührten.
»Und was … seid ihr?«, fragte Corinna zögernd. Andrej versuchte den seltsamen Ton in ihrer Stimme zu deuten, doch es gelang ihm nicht. Angst, was sonst?
»Ich weiß es nicht«, antwortete er leise und ohne zu ihr zurückzusehen. »Keiner von uns weiß es. Wir
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