Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod
selbst hat damals die Untersuchung geleitet, um die Mörder meines Bruders zu fassen, und er hat es nicht verwunden, dass er erfolglos war.«
Nachdem er Rezzori kennengelernt hatte, wunderte das Andrej nicht im Geringsten. Er wusste nicht, wer die »Signori« waren, von denen Corinna sprach, aber er kannte Männer wie ihn zur Genüge, um zu wissen, dass er sein Versagen als persönlichen Affront des Schicksals betrachtete.
»Er war ein guter Freund meines Vaters, und er glaubt wohl, uns etwas schuldig zu sein«, sagte sie. »Aber mit deiner Freilassung ist mein Kredit bei ihm erschöpft. Ich kann nichts für Abu Dun tun.«
»Und du würdest es auch nicht, wenn du es könntest?«
»Macht es einen Unterschied, was ich antworte?«, fragte Corinna. Andrej nickte, doch Corinna drehte sich brüsk um und starrte wieder das Puppenhaus an.
Für eine Weile herrschte bedrückendes Schweigen. Corinna wandte ihm weiter den Rücken zu, und Andrej versuchte vergeblich, sich seiner eigenen Gefühle klar zu werden. Natürlich war er erschrocken, zutiefst verwirrt und enttäuscht, und doch war er nicht wirklich zornig auf sie. Und wie auch, konnte er ihren Schmerz doch nur zu gut nachempfinden?
Als es an der Tür klopfte, wechselte Corinna erneut ein paar Worte mit jemandem, den Andrej nicht sehen konnte, und kam dann mit einem Stapel säuberlich zusammengelegter Kleider auf den Armen zurück.
»Sie gehören Antonio, einem unserer Diener«, sagte sie. »Er hat ungefähr deine Statur. Zieh sie an! Bitte!«
»Weil ich deinem Vater so nicht unter die Augen treten kann?«
»Er ist ein altmodischer Mann, der großen Wert auf den äußeren Schein legt«, bestätigte sie. »Davon abgesehen bietest du wirklich keinen sehr erbaulichen Anblick … wenigstens nicht, wenn du angezogen bist.«
Andrej lächelte nicht einmal. Eigentlich mochte er ihre anzügliche Art, aber zum ersten Mal störte es ihn. Vielleicht weil er spürte, dass es auch zum ersten Mal nicht echt war.
Beinahe schon misstrauisch betrachtete er die Kleider, die Corinna vor ihm auf dem zerwühlten Bett ablegte. Sie waren von guter Qualität – eigentlich schon von außergewöhnlich guter Qualität, bedachte man, dass sie einem Diener gehörten – und entsprachen weniger seinem eigenen als vielmehr dem hier in der Stadt allgemein gültigen Geschmack: lederne Pluderhosen, die an der Seite und vorne geckenhaft geschnürt waren, ein weißes Hemd mit albernen Rüschen und weißen Stickereien, dazu eine Weste, eine Jacke mit ebenfalls bauschigen, geschnürten Ärmeln und protzigen Knöpfen, die schwer genug aussahen, um tatsächlich aus Gold zu sein, und spitze Schuhe, denen er auf den ersten Blick (und mit großer Erleichterung) ansah, dass sie zu klein für ihn waren. Sich von einer Frau beschenken zu lassen ging gegen seinen Stolz, weshalb er im ersten Moment nahe daran war, ihr Angebot rundheraus abzulehnen. Aber dann sagte ihm seine Vernunft, dass jetzt nicht der rechte Moment für Stolz war.
Außerdem hatte sie recht: Er sah aus wie jemand, der einem besonders hartnäckigen Dieb mehr als ein Dutzend Mal zum Opfer gefallen war.
Widerstrebend zog er sich um, wobei er die lächerlich spitzen Schuhe zur Seite stellte, in denen man nach seinem Dafürhalten ohnehin allerhöchstens tanzen konnte (wenn man nichts dagegen hatte, sich zum Narren zu machen), und strafte auch die genauso affige Kappe mit Missachtung. Sie hatte nicht nur eine groteske Form, sondern war auch von schreiend roter Farbe – sie kam ihm irgendwie bekannt vor, aber er kam nicht drauf, woher. Corinna zog die Augenbrauen hoch, als er die Kopfbedeckung zurück auf das Bett warf, sagte jedoch nichts, schüttelte aber missbilligend den Kopf, als er sich noch einmal auf die Bettkante setzte, um sich in seine durchnässten und zerschrammten Stiefel zu zwängen. Erst als er sich den zerfetzten Mantel abermals wieder umlegen wollte, hielt sie ihn mit einer fast schon herrisch wirkenden Geste davon ab, ging erneut zur Tür und bedeutete ihm, ihr zu folgen.
Andrej gehorchte. Draußen standen, ganz wie er es erwartet hatte, die beiden Männer, die sie nicht nur aus dem Gefängnis hierherbegleitet, sondern offensichtlich auch die ganze Zeit auf dem Gang gewartet hatten. Andrej fragte sich, ob die Tür einigermaßen schalldicht war, und wusste zugleich, dass diese Hoffnung töricht war. Corinna bedeutete dem Grauhaarigen, seinen Umhang abzustreifen und ihn ihm zu reichen.
»Das geht jetzt aber zu weit«,
Weitere Kostenlose Bücher