Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod

Titel: Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wlofgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
um auf halber Armeslänge vor ihm stehen zu bleiben.
    »Vielleicht mache ich jetzt einen Fehler«, sagte sie. »Versprichst du, mir nicht böse zu sein?«
    »Das kommt ganz darauf an, welchen Fehler du gerne begehen möchtest«, antwortete Andrej.
    Corinna seufzte erneut, kam noch näher, um sich auf die Zehenspitzen zu stellen und zärtlich seine Wange zu küssen. Andrej hob die Hände, um sie mit sanfter Gewalt wegzuschieben, solange er es noch konnte, doch selbst seine übermenschlich schnelle Reaktion kam zu spät. In Corinnas Hand blitzte scharfer Stahl, dann fuhr ein reißender Schmerz durch seine Wange. Er schrie überrascht auf, prallte zurück und fühlte warmes Blut, als er die Hand vor das Gesicht schlug.
    »Was … was soll das?« Er senkte die Hand und betrachtete das irische, helle Rot auf seinen Fingerspitzen. Die Wunde brannte, als hätte jemand einen glühenden Draht durch sein Gesicht gezogen, doch der Schmerz erlosch nahezu im gleichen Moment schon wieder. Für eine Sekunde war Andrej hin- und hergerissen zwischen schierer Wut, Verwirrung und Schrecken. Er verstand nicht, was Corinna getan hatte – geschweige denn, warum.
    Dann sah er in ihr Gesicht und begriff.
    Corinna war einige schnelle Schritte zurückgewichen und starrte ihn an. Ihre Hand öffnete sich, und das winzige Messerchen, das zwischen ihren Fingern verborgen gewesen war, fiel mit einem hellen Klirren zu Boden. Blut schimmerte auf der rasiermesserscharfen Klinge. Ihre Augen weiteten sich, als der Schnitt auf seiner Wange zuerst zu bluten aufhörte und sich dann schloss.
    »Warum hast du das getan?«, murmelte er. Als ob diese Frage noch nötig gewesen wäre! Er las die Antwort in ihren Augen – und hätte sie schon viel früher erkennen können, hätte er sich nur die Mühe gemacht hinzusehen. Trotzdem fügte er noch hinzu: »Bist du verrückt geworden?«
    Für einen schier endlosen Augenblick konnte er ihr ansehen, wie nahe sie daran war, unter Entsetzen und Furcht zusammenzubrechen. Doch stattdessen kam sie wieder näher. Ohne ein Wort zu sagen, streckte sie den Arm aus, griff nach seiner Hand, die er erneut auf die blutende Wange gepresst hatte, und zwang sie mit sachter Gewalt nach unten.
    »Ich wusste es«, flüsterte sie. »Ich wollte es nicht glauben, aber ich … ich wusste es.«
    Andrej ergriff sie bei den Schultern, um sie abermals von sich wegzuschieben, doch diesmal leistete sie Widerstand, so sehr, dass er ihr vermutlich hätte wehtun müssen, und das brachte er nicht über sich.
    »Du hättest das nicht sehen sollen«, sagte er. Er war nicht zornig. Der Schmerz war erloschen, und alles, was er empfand, war jene Mischung aus Trauer, Bedauern und Resignation, die er nur zu gut kannte.
    Also war es wieder einmal vorbei. Diesmal hatte das flüchtige Glück gerade eine Woche gedauert – ein einzelnes Staubkorn in dem gewaltigen Sandsturm, den das Leben eines Unsterblichen darstellte. In seinem Schmerz schien es ihm, als würden die Momente, in denen er einfach nur Mensch sein, einfach nur lieben konnte, kürzer und die Trauer, wenn es vorbei war, jedes Mal schlimmer.
    »Es tut mir leid.«
    Corinna ließ ihn nun von sich aus los, machte einen halben Schritt zurück und starrte in sein Gesicht. Ihr Blick suchte die Wunde, die nicht mehr da war. Etwas erwachte in ihren Augen, das sich tausendmal tiefer in sein Herz bohrte, als die kleine Messerklinge in sein Fleisch geschnitten hatte. Dieser Schmerz, das wusste er, würde nicht vergehen.
    »Ich glaube, es ist besser, wenn ich jetzt gehe«, sagte er. »Vergiss, was du gesehen hast. Es ist besser für dich, glaub mir.«
    Das Mädchen sah ihn nur weiter mit demselben undeutbaren Blick an, doch als Andrej sich endgültig abwenden und gehen wollte, holte es ihn mit einem schnellen Schritt ein, legte die Hand auf seinen Unterarm und schüttelte so heftig den Kopf, dass er stehen blieb. Immer noch, ohne ein einziges Wort zu sagen, schlang sie die Arme um seinen Hals, zog ihn zu sich herab und küsste ihn.
    Und plötzlich war nichts wichtiger als ihr warmer Körper in seinen Armen und die süße Berührung ihrer Lippen.

Kapitel 18
    Ungewöhnlich genug, dass er eingeschlafen war, nachdem sie sich geliebt hatten, doch zum ersten Mal seit ihrer Ankunft in der Stadt hatte er nicht einmal geträumt – und wenn doch, dann erinnerte er sich wenigstens nicht mehr daran. Er erwachte mit dem absurden Gefühl, ein schlechtes Gewissen haben zu müssen, ohne es aber zu haben, und dem sicheren

Weitere Kostenlose Bücher