Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod
das Boot vor. Und Ihr, Signore Delãny …«, er wandte sich an Andrej, »… dürft versichert sein, dass morgen bei Sonnenaufgang alles bereit ist.«
Kapitel 12
Er wartete noch eine Weile, bevor er Abu Dun folgte. Corinna hatte die ganze Zeit über nichts gesagt. Sie wich seinem Blick aus, doch es gelang ihr, ihre wahren Gefühle zu verhehlen. Sie war noch immer kreidebleich, und ihre Bewegungen wirkten abgehackt und gezwungen, als müsse sie sich selbst auf etwas so Einfaches wie das Gehen konzentrieren. Ein- oder zweimal setzte sie an, etwas zu sagen, brachte dann aber die Kraft (oder den Mut) doch nicht auf und starrte wieder an ihm vorbei auf einen Punkt im Nichts. Andrej war fast froh. Er hätte nicht gewusst, was er antworten sollte, hätte sie ihn in diesem Moment auf Abu Duns unfassbares Verhalten angesprochen.
Der Nubier wartete im winzigen Innenhof des Turmes auf ihn, sicher nicht zufällig so weit von der schmalen Tür entfernt. Sein Gesicht war wieder zu einer schwarzen Maske erstarrt, und er reagierte auch nicht, als er das Geräusch der Tür und dann das ihrer Schritte hörte.
»Bleib hier«, sagte Andrej, wartete Corinnas Reaktion nicht ab und eilte mit schnellen Schritten auf den Nubier zu. Abu Dun wandte den Kopf und sah ihn scheinbar gleichmütig an. Andrej wusste nicht einmal, ob dieser Ausdruck tatsächlich nur aufgesetzt war: Der Tod – auch das Töten! – gehörte seit Jahrhunderten zu ihrem Leben dazu. Dennoch erschreckte ihn der Anblick. Abu Dun gefiel sich darin, den tumben Riesen zu spielen, dem ein Menschenleben nichts bedeutete, aber die Wahrheit war eher das genaue Gegenteil.
»Was ist in dich gefahren?«, fuhr er ihn auf Arabisch an. »Hast du den Verstand verloren? Du hast den Mann vollkommen grundlos umgebracht!«
»Es war ganz so, wie Ihr es gesagt habt, Sahib«, antwortete Abu Dun kalt, auf Italienisch und so laut, dass Corinna es verstehen musste. »Es war ein Unfall.«
»Solche Unfälle passieren dir nicht, Pirat«, beharrte Andrej. »Du wolltest diesen Mann töten. Und ich will jetzt wissen, warum!«
»Er hat mich angegriffen«, erwiderte Abu Dun. »Du hast es doch gesehen – oder waren deine Gedanken so mit deiner neuen Gespielin beschäftigt, dass du keine Augen mehr für etwas anderes hattest?«
Ohne hinzusehen, wusste Andrej, dass seine Gespielin leicht zusammenfuhr. Es kostete ihn Überwindung, sich weiter zu beherrschen. »Du weißt ganz genau, was ich meine«, sagte er, leiser und immer noch auf Arabisch. »Was ist los mit dir?«
Abu Dun maß ihn mit einem langen, verächtlichen Blick von Kopf bis Fuß, knurrte ein einzelnes Wort, das Andrej nicht verstand, und wandte sich dann brüsk zum Gehen. Er machte sich nicht die Mühe, das Schloss zu öffnen, sondern zertrümmerte es mit einem beiläufigen Schlag und bückte sich durch die auffliegende Tür hinaus. Schon aus Gewohnheit wollte Andrej ihm hinterhereilen, um ihn zur Rede zu stellen, machte aber nur einen Schritt und kehrte dann wieder um, um zu Corinna zurückzugehen. Diesmal war er es, der ihrem Blick auswich.
»Es tut mir wirklich leid«, begann er. »Ich wollte nicht, dass du das mit anhören musst.« Das war wahrscheinlich das Dümmste, was er überhaupt hatte sagen können, aber auch das Erste, was ihm einfiel. Er war nicht einmal sicher, ob sie die Worte gehört hatte. Unruhig trat sie auf der Stelle. Ihre Hand knetete etwas Schwarzes, das er nicht genau erkennen konnte, und in ihrem eben noch schreckensstarren Gesicht lieferten sich jetzt Entsetzen und Beherrschtheit einen stummen, ungleichen Kampf.
»Das … das war schrecklich«, flüsterte sie schließlich. »Ich wusste nicht, dass es so leicht ist.«
Leicht? »Was?«
»Einen Menschen zu töten«, antwortete sie. »Er hat ihn … kaum berührt.«
»Abu Dun ist sehr stark«, sagte Andrej. »Manchmal glaube ich, er weiß selbst nicht, wie stark. Ich glaube nicht, dass er es so wollte.«
Corinna maß ihn mit einem langen, schwer zu deutenden Blick, der immer noch von Schrecken erfüllt war, aber jetzt auch auf eine sonderbare Art wieder warm. »Du bist wirklich ein guter Freund, Andrej.«
»Wie meinst du das?«
»So, wie ich es sage.« Corinnas Hände wrangen weiter den schwarzen Stoff. »Du hast genau wie ich gesehen, was er getan hat, und du versuchst immer noch, ihn in Schutz zu nehmen.«
Vielleicht gerade, weil sie recht hatte, wollte Andrej nicht darüber reden. Er würde mit Abu Dun sprechen müssen, bald, aber nicht jetzt und nicht
Weitere Kostenlose Bücher